Dreihunderttausend Flüchtlinge warten

■ Noch keine Friedenslösung für Abchasier und Georgier

Moskau (taz) – Das Foto ging durch die russische Presse. Da steht eine Großmutter am Herd, die Küchenmöbel sind noch da. Aber die Alte befindet sich im Freien, denn Wände hat die Küche nicht mehr. Das Haus ist weg. So sieht die Realität aus in Abchasien. Nach zwei Jahren Bürgerkrieg hat sich die Zahl der Einwohner des einstigen Ferienparadieses der Sowjetnomenklatura von einer halben Million auf 200.000 reduziert. Auf die Forderung des abchasischen Parlamentes nach erweiterter Autonomie innerhalb Georgiens hatte die georgische Regierung mit der Entsendung unkontrollierbarer Söldnerbanden geantwortet.

Am Donnerstag und Freitag stand der Status Abchasiens wieder zur Debatte, diesmal am Verhandlungstisch in Suchumi und unter Ägide der OECD. Die Lösung mußte – bis zum nächsten Treffen? – verschoben werden. Trotz des im Mai geschlossenen Waffenstillstandes zwischen Georgiern und Abchasen haben sich ihre Standpunkte verhärtet. „Nach so einem blutigen Krieg möchte ich wirklich nicht Teil irgendeines Landes sein, Abchasien muß unabhängig bleiben“, erklärte ein Vertreter des Außenministeriums in Suchumi der Presse. Die Georgier hingegen wollen Abchasien fest an sich binden und stehen höchst mißtrauisch der Idee eines föderativen Staates gegenüber, die UNO-Emissär Eduard Brunner ihnen hier als Ei des Columbus anpries. Mit am runden Tisch saß auch ein Vetreter des Oberkommandos der vor Ort stationierten russischen Streitkräfte, die sich jetzt als GUS-Friedenstruppe bezeichnen.

Ihre Verwandlung zum Peace- Corps wurde erst Ende Juni vom Moskauer Föderationsrat abgesegnet. Nun sollen 3.000 russische Soldaten den Rückzug der sich auf den beiden Ufern des Flusses Inguri gegenüberstehenden abchasischen und georgischen Einheiten auf einen Abstand von jeweils 12 km vom Flußufer und die Entschärfung ihrer schweren Waffen überwachen. Die Russen handeln „mit Wissen“ der 22 UN-Beobachter vor Ort. Doch dieses Wissen ist auch eine Duldung. Daß der Kern der „Friedensstifter“, das 345. Russische Fallschirmjägerbataillon, noch vor einem Jahr auf abchasischer Seite am Krieg teilnahm, gab Rußlands Verteidigungsminister Gratschow indirekt zu, als er erklärte, man habe eben das biologische Laboratorium der russischen Armee im Vorort Eschera schützen müssen. Bleibt hinzuzufügen, daß in unmittelbarer Nachbarschaft nicht wenige Datschen und Sanatorien der obersten Moskauer Heeresführung liegen.

Abgesehen von der privaten Pfründe des schwunghaften Waffenhandels, die viele russische Offiziere hier im Kaukasus nicht missen mögen, ist ihre fortdauernde Anwesenheit im Sinne der korporativen Interessen der russischen Armee als ganzes: die militärische Präsenz der Russen wird dadurch auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken ins Licht eines gewissen internationalen Wohlwollens getaucht.

Mit schwankender Hoffnung blickt die abchasische Seite auf das russische Peace-Corps. Abchasen- Führer Wladislaw Ardsinba beklagte sich in den letzten Tagen, die Russen ließen, unter Verletzung des Abkommens, täglich über die geflickte Inguri-Brücke als Flüchtlinge getarnte georgische Männer, die mit der Waffe gegen seine Landsleute gekämpft hätten.

In Suchumi wurde in der vergangenen Woche aber auch keine Vereinbarung über das Tempo der Rückführung von im Extremfall zurückzuerwartenden 300.000 Flüchtlingen, darunter 200.000 GeorgierInnen, erreicht. Für die AbchasierInnen ist diese Frage eng mit der Forderung nach nationaler Autonomie verbunden. Sie klänge kaum mehr plausibel, sollten Georgier bald wieder, wie vor dem Kriege, neben Armeniern, Russen und Griechen die größte Bevölkerungsgruppe im Lande bilden. Barbara Kerneck