Nur ein paar Spenden für Tschernobyl

■ G-7-Staaten zahlen höchstens 200 Millionen Dollar für das Katastrophen-AKW

Neapel (taz) – „Die Schließung des Kernkraftwerks Tschernobyl hat höchste Priorität.“ So steht es in der Abschlußerklärung des G-7-Gipfels, der gestern in Neapel zu Ende ging. Zusätzlich verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada einen „Aktionsplan“. Doch wo im Vorfeld noch von einem Fünf-Milliarden-Dollar-Programm für den Umbau des Energiesektors in der Ukraine die Rede war, ist am Ende nur eine Spendenaktion herausgekommen: Das leere Konto „Nuclear Safety Account“ (NSA) bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) soll wiederaufgefüllt werden, seitens der G7 mit „bis zu 200 Millionen US-Dollar in Form von Zuschüssen“.

Außerdem werden die internationalen Finanzorganisationen – wie Weltbank, EBWE und die Europäische Investitionsbank – gebeten, soviel Geld wie möglich als Kredite lockerzumachen und ebenfalls auf das NSA-Konto einzuzahlen. Artig bedankten sich die Herren bei der EU-Kommission für ihren Beitrag von 500 Millionen Ecu (1 Mrd. DM).

Während die Regierungschefs der sieben reichsten Industrieländer noch hinter verschlossenen Türen tagten, erzählte der deutsche Regierungssprecher Dieter Vogel den Journalisten, wie am Morgen die Diskussion über Tschernobyl verlaufen war. Die im Gipfel-Jargon „Sherpas“ genannten Finanzstaatssekretäre hatten laut Vogel „in äußerst zähen Verhandlungen“ 100 Millionen US-Dollar aus den Staatshaushalten des laufenden Jahres zusammengetragen. Angesichts „der Zeitbombe, die in Tschernobyl tickt“, reichte Helmut Kohl diese Summe nicht. Schließlich ist sein Land das erste der G-7-Länder, das eine radioaktive Wolke aus Tschernobyl erreichen würde. „Das müssen wir mindestens verdoppeln“, forderte der Kanzler. François Mitterrand habe sogar eine Verdreifachung des Betrages verlangt. Als großer Bremser sei sodann wieder einmal John Major aufgetreten, der der Ukraine „Energiesparen“ und seinen G-7-Verbündeten eine „Prüfung der Situation“ empfahl. Bill Clinton und der Kanadier Jean Chrétien hätten sich – vermutlich aus geographischen Gründen – herausgehalten. Und dem Japaner Tomiichi Murayama war seit dem Dinner am Freitag abend ohnehin so schlecht, daß er sich im Krankenhaus behandeln und bei den Gipfel-Gesprächen vertreten ließ.

Die besonders von Gastgeber Silvio Berlusconi beschworene Gemeinsamkeit der sieben mächstigsten Männer der Welt endete erwartungsgemäß auch beim Thema Handel. Bisher hat von den G-7-Staaten nur Deutschland den Gatt-Vertrag von Marrakesch ratifiziert. Trotzdem warb Bill Clinton bereits für die nächste Liberalisierungsrunde und legte ein Programm „Märkte 2000“ auf den Verhandlungstisch. In den Bereichen Telekommunikation und Finanzmärkte, die aus der Uruguay- Runde des Gatt ausgeklammert waren, soll die Welt nun den USA folgen und die letzten Handelsschranken abbauen. Das hätte allenfalls noch Kohl gefallen, die südeuropäischen Regierungen fürchten jedoch, daß sie schon den vorhandenen Gatt-Vertrag nicht von ihren Parlamenten genehmigt bekommen.

Clinton, der bis dahin die Show in Italien sichtlich genossen hatte, am Meer entlang joggte und die Sicherheitskräfte mit spontanen Bädern in der jubelnden Menge schockte, wirkte am Samstag abend sichtlich frustriert. „Sehr nützlich“ (Kohl) und „ausgesprochen angenehm“ (Major) fanden es jedoch die Regierungschefs, daß sie diesmal weniger lange im Plenum tagen mußten als während der vorangegangenen Gipfeltreffen. Schnell abgehakt wurde die Erklärung zur Arbeitslosigkeit (Flexibilisierung und Ausbildung werden's schon richten) und zur Dritten Welt. Im Prinzip sind die G7 bereit, den ärmsten Ländern Afrikas nicht nur die Hälfte, sondern zwei Drittel der Schulden zu streichen, den allerärmsten sogar bis zu vier Fünfteln. Alles weitere regelt ohnehin der Pariser Club der Gläubigerstaaten.

Daß nach der Klimakonferenz in Rio in den Industrieländern nichts zur Umsetzung der Beschlüsse geschehen ist, gaben die G7 in ihren abschließenden Pressekonferenzen durchaus zu und gelobten Besserung. Im nächsten Jahr soll jedes Land einen Rechenschaftsbericht über seine CO2-Politik vorlegen. „Jetzt, wo die Rezession zu Ende ist, wird es leichter fallen, etwas zu tun“, sagte Kohl.

Die offizielle Tagesordnung soll nächstes Jahr in Halifax noch mehr gestrafft werden, versprach der Kanadier Chrétien unter beifälligem Nicken seiner Gipfelkollegen. Dann wollen die G7 sich in den Gesprächen auf das Angenehme (Wirtschaftswachstum) und das Nützliche (Wie müssen die internationalen Organisationen aussehen, um Wachstum und Stabilität nach dem Kalten Krieg zu sichern?) konzentrieren. Wenn bis dahin nicht wieder ein Tschernobyl-Reaktor in die Luft geflogen sein wird. Donata Riedel