Nichts begeistert die Union zur Zeit mehr als ihr neues Wahlkampfthema. Die Parteistrategen der CDU bereiten eine ressentimentgeladene Kampagne gegen die „Linksfront“ von SPD und PDS vor. Aus Bonn Bascha Mika und Hans Monath

Ein Feindbild frei Haus

Schicksalstag 16. Oktober, 20 Uhr. Diese Republik ist eine andere. Verloren der Kampf gegen die Volksfront. In Ostberlin holen die Altkader der SED ihre Einsatzpläne aus den Geheimschubladen. Die Plätze für die Nachtmaschine nach Bonn sind seit Wochen gebucht. In der Elefantenrunde leugnet ein biederer Rudolf Scharping zwar noch immer die Rolle der PDS als Kanzlermacher, doch der Sturm rollt bereits. Honeckers Erben entern die Schaltzentralen der Macht.

Wer SPD wählt, wählt Kommunisten. Nichts begeistert Unionsstrategen momentan mehr als dieses Untergangsszenario. Seit die Sozis in Sachsen-Anhalt mit der PDS Pogo tanzen, stehen die Christdemokraten drumherum und feixen. Magdeburg serviert ihnen das Kampfthema für die Bundestagswahl. Der emotionale Kick ist da. „Der CDU-Parteigänger hat wieder ein Feindbild“, bedankt sich Kanzlerberater Andreas Fritzenkötter. Selbst träge Unionspolitiker bekommen nun ihren Adrenalinstoß. „Honeckers Erben im Marsch auf Bonn“, unkt Junge- Union-Chef Hermann Gröhe, „ist für CDU-Mitglieder eine ähnlich schreckliche Vorstellung wie die Russen am Rhein.“

Kommunistenfurcht bringt verbrauchte Energie sofort zurück. Von Sachthemen ist kaum mehr die Rede. Die Konservativen in Bonn drehen auf, als ginge es um die Fußballweltmeisterschaft. „Elfmeter“, „Steilpaß“, „klasse Vorlage“ kommentieren sie ihren taktischen Vorteil beim SPD-Spiel mit der PDS. Doch was mit Balltritten anfängt, wird als Catchen im Schlamm enden. „Harte Auseinandersetzungen“ verspricht Jürgen Rüttgers, Fraktionsgeschäftsführer der CDU/CSU. Fritzenkötter droht einen „scharfen Wahlkampf“ an. Tatsächlich bereitet sich die Union auf einen „Lagerwahlkampf“ (Fritzenkötter) vor, der tiefsitzende Ressentiments und latente Aggressionen der Deutschen anheizen wird. „Die werden was lostreten, daß uns Hören und Sehen vergeht“, schaudert es einen langjährigen SPD-Wahlkampfplaner.

Die Unionsstrategie steht. „Jetzt werden ideologische Symbole holzschnittartig zugeschnitten“, erwartet Manfred Güllner, Chef des Wahlforschungsinstituts Forsa. Grafiker und Texter der CDU brüten bereits über Wahlplakaten und Broschüren. Arbeitsauftrag: die „Linksfront“ aus SPD, PDS und Bündnisgrünen in die Köpfe der Wähler hämmern, die PDS als „Partei des Schießbefehls“ attackieren. Der Händedruck auf dem SED-Parteisignet soll so umgemodelt werden, daß er eine Kampfgemeinschaft von SPD und PDS suggeriert.

Wieder einmal ist nichts geringeres in Gefahr als Deutschland. „Es geht um diese oder eine andere Republik“, schäumt der langjährige Kanzlerberater Stephan Eisel. Der Bonner CDU-Kreisvorsitzende wünscht sich, daß der künftige Wahlslogan diese Bedrohung der Demokratie transportiert. Auch Fritzenkötter wäre einverstanden: „Darauf sollte es hinauslaufen.“

Das Ziel heißt Polarisierung

Das Ziel heißt Polarisierung. Für die Union scheint der größte anzunehmende Glücksfall eingetreten. Mußte sie bisher Angst haben, Ersatz-Kohl Scharping werbe ihre Wähler ab, braucht sie sich nun um ihre Unterscheidbarkeit nicht mehr zu sorgen. Magedeburg ist zum „zentralen Abgrenzungsthema gegenüber der SPD“ geworden (Rüttgers).

Vor groben Mitteln schrecken die Unionspolitiker nicht mehr zurück. Die Anwürfe gegen die SPD sollen in einer Tradition verfangen, die die Union seit den Anfängen der Bundesrepublik pflegt („Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“). Daß CSU- Chef Theo Waigel die Sozialdemokraten als „Handlanger der Salonbolschewisten“ madig macht, wundert nicht. Aber auch Noch-Ministerpräsident Christoph Bergner, gewöhnlich kein Holzer, unterstellt dem politischen Gegner inzwischen gefährlichen Schwachsinn. Und für Wolfgang Schäuble macht die SPD „die Partei der Mauerschützen und der Gefängnisschergen hoffähig“.

Das Feindbild soll vor allem unionsnahe Wähler mobilisieren. Ziel ist aber auch, die SPD- Klientel zu verunsichern. Kritik von Sozialdemokraten am Magdeburger Kurs und die eingetretene Verunsicherung der Genossen beobachtet die CDU mit Behagen. Die Vorbehalte gegen die PDS-Aufwertung will sie kräftig fördern. „Ich glaube, wir werden damit einen relativ großen Einbruch in das Wählerpotential der SPD erzielen“, erwartet Rüttgers.

Beim Konfrontationkurs der CDU droht noch ein anderer Effekt: Die Gefahr aus dem Osten kann schnell zur Gefahr für den Osten werden. Schon jetzt ärgern sich Steuerzahler im Westen über die Abgaben für den Aufbau Ost. Nun machen die Geschwister im anderen Teil Deutschlands auch noch die Feinde der Republik stark. Jede Polemik gegen die „Volksfront“ transportiert die unterschwellige Botschaft: „kein Geld in rote Socken!“

Mißgunst und Aggression gegen die Ostler sind leicht mobilisierbar. „Signale in dieser Richtung brauchen nur angetippt werden“, weiß der Mannheimer Wahlforscher Dieter Roth. Selbst Kanzlerberater Fritzenkötter räumt ein: „Diese Gefahr sehe ich auch.“ Aber um den Wahlkampf-Cocktail besonders wirksam zu machen, mixen die CDU-Strategen auch giftige Substanzen hinein. Daß die Mischung wirkt, davon ist die Union überzeugt. „Unsere Wiederwahl ist ein großes Stück sicherer geworden“, freut sich Fraktionsgeschäftsführer Rüttgers.

Mit all dem mußte die SPD rechnen, als sie in Magdeburg die PDS aufs Tapet brachte: „Daß die CDU sich daran aufgeilt, ist absolut nicht überraschend“, knurrt Günter Verheugen. Aber der Emotionskampagne der CDU (für den SPD-Geschäftsführer eine „Gespensterschlacht, die nicht über die Sommerpause trägt“) will sie nichts entgegensetzen – und trotzdem die Wahl gewinnen. Optimismus zieht der SPD-Mann aus der Hypothese: „Es gibt diese Kommunistenangst im Westen nicht mehr.“ Daß Ost-West-Ressentiments geschürt werden, fürchtet er allerdings: „Wenn die CDU so niedrig zielt, kann sie im Westen Wirkung erzeugen.“

Die Botschaft: „kein Geld in rote Socken“

Ob die Wählerinnen und Wähler den Unionscocktail schlucken, ist noch nicht ausgemacht. Nach Überzeugung von Wahlforschern dürstet es die Bevölkerung wahrlich nicht nach dieser Art von Politstreit. „Magdeburg brennt den Leuten nicht unter den Nägeln“, meint Wahlforscher Roth: „Wähler reagieren immer nur auf Vorgaben, die Parteien machen.“

Völlig unterschiedlich bewerten Demoskopen die Lage der SPD. „Arroganz, Ignoranz, gepaart mit strategischer Dummheit“ macht Forsa-Chef Manfred Güllner in der SPD-Zentrale aus. Für Dieter Roth dagegen hat sich die Bundes- SPD mit Magdeburg „keineswegs auf ein Kamikaze-Unternehmen eingelassen. Es ist ein Weg auf Messers Schneide, aber durchaus gerechtfertigt, um aus dem Tief herauszukommen.“

Das Selbstbewußtsein der Genossen wird zum entscheidenden Faktor. Stehen sie das machiavellistische Unternehmen geschlossen durch, könnte die CDU-Kampagne ins Leere laufen. Ein langjähriger SPD-Wahlkämpfer aus der Vorstandsebene: „Die einzige Schwachstelle bieten die Sozis selber: wenn sie ängstlich werden.“