Wo Elvis auf Laurel & Hardy traf

■ Ein Schatzkästlein für die Freunde des Schrillen und Schmalzigen: „Bear Family Records“, ein Plattenvertrieb bei Hambergen, versorgt den Rest der Welt mit Raritäten

Richard Weize fand die alte 78er mit You'll be lonesome, too hinter Glas in einem Haus in Kentucky. Es war eine der letzten erhaltenen Aufnahmen der Sheppard Brothers aus den 40er Jahren, für Weize das Tüpfelchen auf dem i: Denn für seine neue CD-Box mit Aufnahmen von Merle Travis, die eine Hälfte der Sheppard Brothers, mußte diese Rarität unbedingt dabei sein. Erst dadurch konnte das Gesamtwerk reifen. Auf fünf CDs kann man seit neuestem 141 Stücke des Country-Barden Travis aus den Jahren 1943 bis 1955 bewundern: Eine Produktion von Bear Family.

Richard Weize ist Bear-Family. Der 49jährige mit Sitz in Hambergen kauft Lizenzen von alten Aufnahmen und preßt daraus Liebhaberausgaben für Musikfreaks. Schwerpunkt ist Bluegrass, „das ist das, was sich Klein-Fritzchen unter Country vorstellt“. Des weiteren vertreibt er: Rock'n'Roll, Deutsche Oldies, jede Menge Country, 60er Jahre-Pop und Schrilles aller Art: Platten von Laurel & Hardy, das Frühwerk der Cornelia Froboess oder das umfangreiche Werk des nigerianischen Musikers Babatunde Olatunji.

Für seine Produktionen hört Weize bei den Lizenzeignern tagelang alte Bänder ab. Zwei bis vier Monate pro Jahr verbringt er nach eigenen Angaben in amerikanischen Studios (“meine Art, Urlaub zu machen“). Für eine geplante CD-Serie mit kommunistischen Liedern aus dem Amerika der 30er Jahre ist er tagelang auf dem Boden des Hauses von Pete Seeger herumgekrochen und hat sich Material zusammengesucht. „Ich habe die besten Quellen der Welt. Wenn ich eine Box mache, schmeißen die Leute ihr altes Zeug weg.“

Mit den Kopien beginnt dann die Arbeit. Zusammen mit ausgewählten Toningenieuren müssen die Nebengeräusche aus den alten Aufnahmen herausgefiltert werden, möglichst so, daß der Klang insgesamt nicht leidet, sondern besser wird; Instrumente nach vorne holen, nicht zu viel, nicht zu wenig. Eine Sisyphusarbeit: „Du fängst morgens an und hörst bis abends nicht auf, und abends hörst du dann, was du morgens gemacht hast und denkst: Scheiße, so ein Mist, und dann fängst du von vorne an.“

Mit einem Puristen wie Weize kann sich das hinziehen. Er nutzt die Technik, um aus den alten Aufnahmen auch den letzten Trommelschlag herauszuholen. „Da hörst du bei Elvis plötzlich ein Schlagzeug, das war vorher nie da, und doch gehört es zur Aufnahme.“ Vier Jahre hat er für seine Elvis-Ausgabe die richtigen Bänder gesucht und dabei Goldgräbererfolge gefeiert, die das Fieber geschürt haben. Demnächst präsentiert Bear eine Neuauflage aller Sun-Singles, des Labels, auf dem Elvis und Johnny Cash angefangen haben.

Zu jeder Box gehört jeweils ein Buch über den Interpreten im klassichen LP-Format mit reicher Bebilderung und einem ausführlichen Text. Für seine erste Doris-Day-Box mit Liedern aus den Jahren 1947 bis 1950 hat Weize jede Menge unveröffentlichte Fotos besorgen könnnen. Das Buch ist in der Präsentation verschwenderisch; teures Papier, edel der Druck – und doch hat es beim Perfektionisten Weize noch Wünsche offen gelassen. „Wir hätten gerne noch Spinnenpapier zwischen die Seiten gelegt, wie man das aus alten Fotoalben kennt, aber das war mit der Druckmaschine nicht möglich.“

Keine Frage: Weize hat - auch eigenen Angaben zufolge - „eine Schramme weg“. Er selbst ist als Sammler zur Musik gekommen, hat 1955 mit einer 45er (Rock around the clock von Bill Haley) angefangen und türmt mittlerweile 30 000 LPs in seinen Regalen übereinander, rund 20 000 Singles und 10 000 78er. Nach „ein paar Todsünden“ fängt die offizielle Bear-Chronologie im jahr 1978 an, mit alten Johnny-Cash-Lizenzen. Weize mußte damals noch selbst 3 000 Stuck Mindestauflage bei der Plattenfirma abkaufen, für 20 000 Mark. So entstand der Versandhandel Bear, der neben zahllosen Schallplatten mittlerweile auch Musikliteratur und Videos anbietet, insgesamt vertreibt Bear-Familiy rund 20 000 Artikel.

Weize selbst ist überzeugter workoholic, gibt nie etwas aus der Hand („Delegierien ist das Schlimmste, was es gibt“), und ist am Ende einer Produktion doch nie ganz zufrieden. Dabei wandelt er auf einem schmalen Grat. Sein Hobby ist sein Leben, aber der Abstand zwischen Schrulle und Wahnsinn ist bedenklich klein. Er selbst macht sich nichts draus. „Die Leute, mit denen ich arbeite, wissen, daß ich einen Nagel im Kopf habe“, erzählt er.

Publikationsideen hat Weize bis in die Ewigkeit. Sein Lebensprojekt aber hat er schon abgeschlossen. Mit einem imposanten 18 CD-Paket in insgesamt drei Boxen hat er das Gesamtwerk des Countrysängers Hank Snow herausgebracht; das hat ihm Lob an höchsten Orten gebracht: „Ach ja, Gott. Hank hat's gefallen“, sagt er. mad