Die geschlossene Stadt hat keine Zukunft

■ Berlin denken: Der Architekt Daniel Libeskind zu reaktionären Tendenzen bei der Neugestaltung / Wer bauliche Spuren der Vergangenheit tilgt, lehnt die Verantwortung für die Geschichte ab / Eine ...

In der taz vom 7. Juli kritisierte Heinrich Klotz, Gründer des Deutschen Architekturmuseums, die Monotonie bei der Neugestaltung Berlins und den Gestus der nationalen Überheblichkeit, die einhergeht mit der Rehabilitierung der konservativen Moderne der NS-Architektur. Der Architekt Daniel Libeskind, 47, der seit fünf Jahren in Berlin lebt, setzt die Debatte fort. Libeskind hat das Jüdische Museum entworfen, das gegenwärtig in Bau ist. Im Berliner Museum ist noch bis zum 30. Juli die Ausstellung „Spuren des Ungewissen – Daniel Libeskind in Berlin“ zu sehen, welche seine fünf Berliner Projekte dokumentiert.

taz: Was stört Sie an der Neugestaltung Berlins, wie sie aus den geplanten Projekten für den Potsdamer und Alexanderplatz sowie der Spreeinsel hervorgeht?

Daniel Libeskind: Es sind reaktionäre Tendenzen bei den Direktoren der Bauverwaltung, die versuchen, Pluralität in der Stadt zu verhindern. Die neuen Gebäude in Berlin, die in den letzten drei Jahren gebilligt wurden, versuchen sich auf andere Zeiten zu beziehen, die 1870er Jahre, wo alles einfach war, wo alle Gebäude symmetrisch und aus Stein waren, wo es keine Medien und keine Außenwelt gab. Ich glaube nicht an eine geschlossene Stadt, an das Wiederaufbauen der Vergangenheit in Form eines genau festgelegten Utopia.

Wie soll Berlin mit seiner Vergangenheit umgehen?

Ernsthaft, aber nicht dadurch, daß sie die Vergangenheit wieder baut, ersetzt oder ignoriert, sondern sich damit befaßt. Diese Stadt und keine andere Stadt kann es sich leisten, ihre Geschichte auszuwählen, sie muß die Verantwortung für diese Vergangenheit übernehmen. Im Wettbewerb für die Neugestaltung des Alexanderplatzes war ich übrigens der einzige Architekt, der vorschlug, die DDR-Gebäude nicht abzureißen. Das Problem Berlins liegt nicht darin, alle architektonischen Spuren der Vergangenheit zugunsten eines Neubeginns abzureißen, sondern ein besseres Leben für die Zukunft aufzubauen.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen dieser Baupolitik in Berlin und der allgemeinen Politik hier im Lande?

Ja! Dadurch, daß man sich mit der Geschichte nicht auseinandersetzt und sie ignoriert, schafft man eine latente Aggression. Die Menschen müssen jedes Kapitel ihrer Geschichte durch eine kreative Tat überwinden. Ein Großteil der Aggression gegenüber Ausländern in Deutschland hängt damit zusammen, daß man sich mit der Vergangenheit nur oberflächlich auseinandersetzt.

Aber immerhin bauen Sie das Jüdische Museum, eines der wichtigsten Projekte in Berlin.

Ich bin sicher, daß, wenn die Arbeit nicht in der damaligen Zeit begonnen hätte, wo alles in Aufruhr war, die Bauverwaltung heute wahrscheinlich nicht den Mut dazu aufgebracht hätte.

Fühlen Sie sich von der Bauverwaltung in Berlin, im Gegensatz zur Verwaltung für Stadtentwicklung, ausgegrenzt?

Ich bin hier seit fünf Jahren, und es mag sein, daß ich kein guter Architekt bin, aber ich lebe hier und hätte erwartet, daß man mir eine Chance gibt, wie anderen Berliner Architekten. Meine Kollegen werden zu zehn bis 20 Wettbewerben im Jahr eingeladen, während ich in all diesen fünf Jahren zu keinem einzigen Wettbewerb eingeladen wurde. Es klingt komisch, daß ein jüdischer Architekt nur „jüdische Projekte“ ausführen darf, denn er kann nicht nur ein Jüdisches Museum, sondern auch Wolkenkratzer, Schulen und Krankenhäuser bauen.

Welche Bedeutung messen Sie der Architektur im Alltag zu?

Architektur ist nicht nur eine ästhetische und politische, sondern vor allem die endgültige ethische Tat, weil das, was wir bauen, unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen zum Ausdruck bringt.

Sie haben es schon erwähnt, daß Sie ein jüdischer Architekt sind. Ein Teil Ihrer Vorfahren waren Rabbiner und die anderen Anarchisten. Welche Rolle spielt die Religion bei Ihnen?

Sowohl sehr bekannte Rabbiner als auch die Gründer der Kibbuz- Bewegung zählen zu meinen Vorfahren. Ich fühle mich extrem religiös. Man kann das nur, wenn die Tradition nicht als ein äußeres Ritual betrachtet wird. Da fast meine ganze Familie im Holocaust ausgerottet wurde, heißt für mich, Jude zu sein, daß diese Religion in die Seele eingeprägt ist. Wie es dorthin gelangt? Das weiß ich selber nicht.

Was mögen Sie an Berlin?

Ich liebe Berlin nicht, weil es eine Stadt wie Paris oder New York ist, wo alles zusammenpaßt, sondern gerade wegen ihres Ursprungs. Das ist ein Ort, der aus den Fremden – den Hugenotten und den Juden – als ein Tor zwischen Ost und West entstanden ist. Mein Lieblingsort in Berlin ist der Potsdamer Platz. Ich mag die Leere dieses Ortes, seine Geschichte, seine Dichte und zugleich unsichtbare Präsenz, die Spuren von etwas, das dort nicht mehr sein kann. Und das finde ich auch heute, trotz der Kräne, die dort stehen.

In dieser Woche hatten sie Vorträge in Bratislava, Oslo und Tel Aviv. Sie arbeiten an einem Garten in den Niederlanden und an einem Kulturzenturm in Tours, Frankreich, und Sie haben eine Professur in Tokio und Kopenhagen, wo Sie auch die Kostüme für eine Produktion nach Kafkas „Metamorphose“ entwerfen. Haben Sie eine Lieblingsstadt?

Oh, es sind so viele, wie Jerusalem, Athen und New York, dann Paris und London, Los Angeles und Turin, aber auch Randstädte wie Teile von Marzahn oder Hellersdorf sowie die Vororte von Bologna oder Rom.

Was mögen Sie an Marzahn, daß als die größte Neubausiedlung Deutschlands gilt?

Ich liebe das latente Licht und Leben dort. Wenn man dorthin ohne Vorurteile fährt, entdeckt man etwas wie die zeitgenössische Seele.

Das Gespräch führte Igal Avidan