Von Sponsoren und Küchensklaven

■ Billig, billig ißt man "beim Inder" - und noch billiger sind die Arbeitskräfte, die in manchen Küchen schuften / Wer jedoch keinen sicheren Aufenthaltsstatus hat, ist sehr leicht auszubeuten

Berlin (taz) – In dem, was Ökonomen als Preis-Leistungs-Verhältnis bezeichnen, sind indische Schnellrestaurants in Berlin sensationell günstig und kaum zu schlagen. Drei Mark fünfzig für eine knusprige Blumenkohlteigtasche als Vorspeise, leckerer vegetarische Spieße ab sechs Mark.

Indische Musik dudelt aus dem Kassettenrekorder und liefert die passende Atmosphäre. Und dann hat der Laden auch noch bis zwei Uhr nachts auf – welch weltstädtisches Feeling. Auch in der Küche läuft alles nach den Gesetzen der Weltwirtschaft.

„30 Mark“, sagt Manyu (Namen aller Beschäftigten geändert), „30 Mark am Tag, damit habe ich angefangen.“ Manyus Karriere begann vor vier Jahren in der Küche eines indischen Schnellrestaurants in Berlin. Genauer gesagt, in der Küche und einer Kammer dahinter, wo er nach 18 Stunden täglicher Schufterei auch ein paar Stunden schlafen durfte.

Der heute 26jährige kam vor vier Jahren mit einer Sportlergruppe nach Berlin und suchte eine Möglichkeit, länger zu bleiben, als ihm das Visum gestattete. Ein Landsmann, Inhaber eines indischen Schnellimbisses, versprach Lohn, Brot und Obdach. Die Gegenleistung: Manyu putzte, schleppte Bierkästen, schnipselte Gemüse und rührte Kichererbsenteig zusammen. Arbeitszeit: von acht Uhr morgens bis ein, zwei Uhr nachts. „Manchmal, wenn ich mich nachts um zwei endlich in der Kammer schlafen legen wollte, kam er noch herein und bat mich, ihm in seinem anderen Laden zu helfen.“

Trotzdem ist Manyu seinem Ex-„Sponsor“ und „Sklavenhalter“ durchaus dankbar, daß er das Risiko einging, einen „Illegalen“ zu beschäftigten. „Auf der einen Seite beutet dich der Chef aus bis zum Gehtnichtmehr. Auf der anderen Seite aber unterstützt er einen Newcomer, der sonst keine Chance hätte.“

Im internationalen Maßstab gesehen, katapultierte sich Manyu durch den Sklavenjob in Berlin in die absolute Oberschicht. Ein College-Lehrer in Bombay beispielsweise verdient kaum mehr als 5.000 Rupien im Monat, umgerechnet noch nicht mal 300 Mark. „Selbst wenn du hier nur 30 Mark am Tag bekommst, ist das viel mehr, als du in der Heimat kriegst. da kannst du dich noch so abrackern.“ So geht es vielen der 10.000 Inder, Pakistani, Bangladeschi, Thailänder oder Chinesen, die offiziell in Berlin leben. Die legalen Wege, hier zu arbeiten, sind eng begrenzt. Fachkräfte in bestimmten Berufen wie Künstler, Dozenten und Spezialitätenköche beispielsweise können legal einreisen und hier arbeiten, wenn sie vorher einen entsprechenden Arbeitsvertrag abgeschlossen haben. Der Aufenthalt von Spezialitätenköchen ist auf drei Jahre befristet – danach ist wieder eine „Karenzzeit“ in der Heimat fällig. Auch Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung oder -duldung dürfen hier vorübergehend ihr Geld verdienen, wenn für eine bestimmte Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber nachweisbar kein Deutscher oder gleichgestellter Ausländer zur Verfügung steht.

Diesen legalen Wegen ist eins gemein: ohne Arbeitsvertrag keine allgemeine Arbeitserlaubnis – die Beschäftigten geraten in Abhängigkeit von einem bestimmten Unternehmer, zumindest zu Anfang. Manyus Kollege Ajay wurde in Bombay vom Besitzer eines indischen Restaurants in Berlin als Koch angeheuert – für ganze 10.000 Rupien. Ein Glücksfall, dachte Ajay und unterschrieb begeistert den Vertrag. „Als er hierherkam, merkte er dann, daß 10.000 Rupien hier nur 550 Mark sind, daß alle anderen hier viel mehr verdienen“, erzählt Manyu.

Sechs Monate hielt Ajay still, frittierte geduldig Tag um Tag Hunderte von Blumenkohlteigtaschen und marinierte Tandoori Chicken. Dann wollte er sich bei der Konkurrenz in Berlin verdingen. Sein „Sponsor“ drohte ihm mit Schadensersatzforderungen – aber erfolglos. Denn die Arbeitserlaubnis für Spezialitätenköche ist nur an die Tätigkeit, nicht aber an den Arbeitgeber gebunden.

„Wir erteilen eine Arbeitserlaubnis nur dann, wenn der Arbeitsvertrag den ortsüblichen oder tariflichen Bestimmungen entspricht“, betont Walter Siegfried Nienhaus vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Aber trotzdem gibt es viele Tricks, tarifliche Bezahlung nur vorzutäuschen. Wer kontrolliert denn schon, ob hinter dem „Teilzeitjob“ zum Tariflohn nicht doch ein 12-Stunden- Tag steckt?

Wer einen gesicherten Status hat und sich auskennt, kann seine Arbeitgeber selbst wählen. Rajiv kellnerte auch schon mal im vornehmen Steigenberger-Hotel. Jetzt jobbt der25jährige TU-Student aus Indien zweimal in der Woche im Restaurant eines Landsmannes, für 15 Mark die Stunde inklusive Trinkgeld. „Ich bin zufrieden.“ Da der Kellnerjob eine Vertrauensstellung sei, wolle sein Chef keine unterbezahlten Leute an die Kasse lassen. Aber auch in seinem Restaurant gebe es eine strenge Hierarchie, erläutert Rajiv. Sie fange ganz unten bei den Spülern an. „Neuerdings sind das bei uns Afrikaner.“

Oben auf der Erfolgsleiter stehen die erfolgreichen Restaurantbetreiber. Auch Manyu träumt vom eigenen Imbiß. Über seinen derzeitigen Aufenthaltsstatus will er zwar lieber nichts verraten, aber es gehe im heute sehr viel besser als in den ersten Monaten in Berlin. In einem indischen Restaurant verdient er als Kellner heute alles in allem etwa 2.100 Mark im Monat. 800 Mark davon spart er, überweist auch manchmal Geld nach Hause. Das Ein-Zimmer-Apartment teilt er mit einem Landsmann. Sonst wären die 700 Mark Miete viel zu teuer. Manyu serviert und kassiert jeden Tag von zwölf Uhr mittag bis zwölf Uhr nachts – und das an sechs Tagen. So kommt er auf eine Wochenarbeitszeit von guten 72 Stunden. Nach dem Herumschleppen von Hunderten vegetarischer Vorspeisen und Hauptmenüs sind die Beine am Abend so schwer wie Blei. An seinem einzigen freien Tag räumt Manyu das Zimmer auf, anschließend trägt er die Klamotten in den Waschsalon und legt vor allem die Füße hoch. Allzuviel Freizeitgestaltung ist bei der täglichen Schufterei nicht drin. „Die Lebensbedingungen in Indien“, findet der 26jährige, „sind eigentlich tausendmal besser als hier.“ Bloß der Lohn, der ist eben ungleich schlechter. Barbara Dribbusch