■ Im Kontext der Auseinandersetzungen um den 20. Juli sprechen einige von einem neuen Historikerstreit
: Ein wenig mehr Toleranz gegenüber dem kommunistischen Widerstand!

In einer durch dpa gestern verbreiteten Äußerung hat Peter Steinbach, der Leiter der Berliner Gedenkstätte Stauffenberg, vor einem neuen Historikerstreit gewarnt, der sich an der Frage entzünde, ob die Kommunisten und insbesondere das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ zum Widerstand gegen Hitler gerechnet werden dürfen. Schon der „alte“ Historikerstreit hatte sich an Fragen entzündet, die von der aktuellen Forschung abstrahierten. Das gilt in noch viel stärkerem Umfang für die jetzt aufbrechende Debatte, die von rechts mit dem Ziel geführt wird, die letzten Reste des Sowjetsystems aus den Köpfen zu tilgen und die eine totalitärem Denken nicht nachstehende Intoleranz des Denkens bekunden.

Der Widerstand gegen Hitler ist ein dafür ungeeignetes Feld. Selbst die Kommunisten, die, wenngleich unter stalinistischem Vorzeichen, gegen Hitler kämpften, verdienen unseren Respekt, sosehr die Politik Moskaus und des ZK der illegalen KPD einer kritischen Bewertung unterzogen werden muß.

Was die „Bewegung Freies Deutschland“ in der Sowjetunion angeht, scheint deren Verfemung durch die Propaganda des Dritten Reiches bis heute nachzuwirken, denn sonst ließe sich die Emotionalität, mit der das Thema erörtert wird, nicht erklären. Unzweifelhaft waren das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ und der „Bund der Offiziere“ Werkzeuge der sowjetischen Politik. Wie anders sollten die Soldaten, die durch die Hölle von Stalingrad gegangen waren und von Hitler aus propagandistischen Gründen aufgeopfert worden waren, einen Beitrag leisten? Was sonst hätten sie tun können, um die Wehrmacht gegen das Regime aufzurufen und einen, wie sie wohl wußten, hoffnungslos gewordenen Krieg mit dem Ziel zu beenden, ein „durch Freundschaftsverträge mit dem Osten“ verbundenes Deutschland unter einer „bürgerlich-demokratischen“ Regierung herzustellen.

Daß diese Politik scheiterte, angesichts der antikommunistischen Einstellung der im Osten kämpfenden Truppe scheitern mußte, gehört mit zu der Tragödie jener Angehörigen des Nationalkomitees, die sich nicht als Helfershelfer Moskaus, sondern als deutsche Patrioten verstanden. Unter den gegebenen Bedingungen, zu denen die 1943 nicht auszuschließende Bereitschaft Stalins gehörte, einen Sonderfrieden mit einem Deutschland ohne Hitler einzugehen, mußten diese, wie die NS-Presse sie nannte, „Moskauer Komplizen des Verbrechers Stauffenberg“ den Versuch machen, sich mit der Sowjetunion zu arrangieren. Daß dies nicht leichthin geschah, sondern erst nach schwerem innerem Ringen, ist übereinstimmendes Ergebnis der Forschungen derjenigen Historiker, die sich mit der Geschichte dieses Teils des deutschen Widerstands befaßt haben.

Daß es sich dabei um einen Grenzfall handelt, ändert nichts an der Tatsache, daß viele der Mitglieder des Bundes Deutscher Offiziere aus Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime gehandelt haben und hofften, zu der noch möglichen Rettung Deutschlands beizutragen.

Wenn es denn ein Historikerstreit wäre, der anhebt, und nicht nur eine Kampfansage jener, die Schlachten des „Kalten Krieges“ erneut schlagen wollen, kann er sich nicht auf die Sachkunde der einschlägigen Historiker stützen, die, obwohl unterschiedlicher Couleur, in der Bewertung nur graduell differenzieren. Historiker, die sich allerdings auch darin einig sind, angesichts der Zugänglichkeit der sowjetischen Akten diese sicherlich problematische Variante des Widerstands eingehender zu untersuchen, statt pauschal zu verwerfen.

Im übrigen Europa wird man ohnedies schwer verstehen, warum man den Kreis jener, die gegen Hitler gekämpft haben, partout enger ziehen und die Kommunisten, die in Europa und nicht nur in Deutschland die meisten Opfer gebracht haben, davon ausschließen will.

Etwas mehr Toleranz gegenüber den kommunistischen Varianten des deutschen Widerstands würde gerade den Vorkämpfern antiautoritärer Prinzipien gut zu Gesicht stehen. Hans Mommsen

Professor für Neuere Geschichte an der Ruhruniversität Bochum