Blockade im Kopf statt auf der Straße

■ Anhaltende Hitze begünstigt Ozonkonzentration. Obwohl die steigenden Ozonwerte und ihre Folgen für die Bevölkerung durchaus registriert werden, sperren sich die Verantwortlichen gegen ...

Anhaltende Hitze begünstigt Ozonkonzentration. Obwohl die steigenden Ozonwerte und ihre Folgen für die Bevölkerung durchaus registriert werden, sperren sich die Verantwortlichen gegen einschneidende Maßnahmen etwa in der Verkehrspolitik.

Blockade im Kopf statt auf der Straße

Bilderbuchwetter in Bad Reichenhall: Die Kurgäste lustwandeln, die Kellnerinnen freuen sich über üppige Trinkgelder, und die Kapelle spielt einen Marsch. Klar heben sich die Berggipfel vom ungetrübt blauen Himmel ab. „Bei uns soll es höhere Ozonwerte geben als anderswo? Davon weiß ich nichts“, sagt die Sekretärin des Oberbürgermeisters schnippisch und verleugnet ihren Chef.

Auch in der Kurverwaltung versucht man das Problem als nicht existent darzustellen. „Unser Tal ist gut durchlüftet. Wir hören keine Klagen wegen Ozon, obwohl viele Leute wegen Problemen mit den Atemwegen hierherkommen“, so Vize-Kurdirektor Horst Ullmann. Früher sei die Luft durch Autoabgase schon belastet gewesen, aber seit der LKW-Verkehr in Richtung Österreich auf eine Umgehungsstraße verlagert wurde, sei alles in Ordnung, meint auch ein für Luftqualität zuständiger Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Das Umweltbundesamt aber registriert im bayerischen Voralpenland und in Baden-Württemberg regelmäßig die höchsten Ozonkonzentrationen in ganz Deutschland. Greenpeace meint, daß die staatlichen Forscher dabei sogar noch zu deutlich zu positiven Werten kämen, weil sie die Meßstationen nicht an den kritischsten Orten aufstellen.

Ozon entsteht, wenn Kohlenwasserstoffe und Stickoxide intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Da das aus drei Sauerstoffatomen bestehende Ozon sehr stark mit anderen Substanzen reagiert, kommt es zu einem erstaunlichen Phänomen: In Reinluftgebieten sammelt es sich an, während an Hauptverkehrsstraßen neue Abgase das Ozon auflösen und die Luft insofern weniger belastet ist. Insgesamt hat sich die Hintergrund-Ozonkonzentration in den letzten 50 Jahren deutlich erhöht – vor allem aufgrund des wachsenden Autoverkehrs. „Eine Sperrung von einzelnen Straßenzügen in Ballungsgebieten ist kontraproduktiv“, meint der Pressesprecher des bayrischen Umweltministeriums, Robert Schreiber. Außerdem sei die Situation insgesamt keineswegs besonders dramatisch. „Eine rigorose Geschwindigkeitsbeschränkung ist wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit garantiert nicht möglich“, meint er.

Auch der in Berlin für die Messung der Luftverschmutzung zuständige Mann, Klaus Kutzner, weist auf die Rechtsgrundlage hin: „Wir können nur Straßen sperren, wenn der Effekt Berlin selbst zugute kommt.“ Obwohl die Hauptstadt große Mengen der Ozon- Vorläufersubstanzen in die Luft pustet – überwiegend aus 1,3 Millionen Auspuffrohren –, geht Kutzner davon aus, daß die Belastungen in Berlin aus ganz Europa stammen. Nur EU-weit lasse sich da was ändern, und da mache der Berliner Senat ja auch fleißig Druck. Bis 1996 sollen Pläne ausgearbeitet sein, wie dem Ozonproblem beizukommen sei.

Das Ökoinstitut in Freiburg kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Kurzfristige Verkehrsbeschränkungen könnten durchaus zu verminderter Ozon-Belastung auch im Berliner Stadtgebiet führen – nicht in der City, aber in den Wohnstraßen in Ku'dammnähe und im Grunewald. Für Katalysatorautos wollen die Forscher die Straßensperren nicht öffnen: „Der Abgaseffekt tritt erst einige Minuten nach dem Start ein, wenn das Gerät warm geworden ist“, erläutert Verkehrsexperte Willi Loose. Die Hälfte aller Fahrten in der Metropole sind aber nach weniger als fünf Kilometern schon wieder beendet.

Die Bundesregierung setzt auf rein technische Lösungen, um das Ozonproblem zu lösen. Nicht nur durch den vorgeschriebenen Kat in allen Neuwagen und verbesserte Zapfsäulen an den Tankstellen hofft sie, den Kurgästen in Bad Reichenhall zu besserer Luft zu verhelfen. Auch der Vorschlag von Bundesumweltminister Klaus Töpfer in Brüssel, den Benzolgehalt im Benzin europaweit auf ein Prozent zu verringern, zielt in diese Richtung.

Daß das nicht langt, müßte auch dem Minister eigentlich klar sein. Denn um die Ozonkonzentration spürbar zu verringern, müßten die Stickoxydemissionen um mindestens 60 bis 70 Prozent vermindert werden. „Dazu aber reichen die bisher anvisierten Maßnahmen bei weitem nicht aus“, bestätigt Dieter Jost vom Umweltbundesamt. Tempobeschränkungen und eine andere Verkehrspolitik seien unumgänglich.

Da aber sitzt Töpfer vermutlich der gleichen Fehleinschätzung auf wie die meisten EntscheidungsträgerInnen. Während nämlich 84 Prozent der BürgerInnen die Frage, ob Busse und Bahnen bei der Planung Vorfahrt vor Autos haben sollten, positiv beantworteten, glauben die Politiker, 51 Prozent würden die Förderung der motorisierten Blechkisten vorziehen – eine Tendenz, die sich auch beim kürzlichen Ozonversuch in Heilbronn beobachten ließ. „Wir sprechen da von mentaler Blockade“, sagt Erhard Erl vom Münchner Meinungsforschungsinstitut Socialdata, der an der Untersuchung mitgearbeitet hat.

Auch verschätzen sich die Entscheidungsträger darin, wie die BürgerInnen tatsächlich unterwegs sind. Sie gehen davon aus, daß nur zehn Prozent der Wege der BürgerInnen zu Fuß zurückgelegt werden, während tatsächlich 28 Prozent der Wege per pedes erfolgen. Die Bedeutung des Autos wird demnach überschätzt.

Hintergrund dieser Diskrepanz ist wohl nicht zuletzt die Tatsache, daß sie selbst vorwiegend motorisiert unterwegs sind, und Kinder und alte Leute in den Verwaltungen nicht vorkommen. Gewerbesteuerzahlende Geschäftsleute hingegen gehören zu den ständigen Kontaktpersonen von Kommunalgrößen. Und die meckern ganz gehörig über mögliche Straßensperren. Völlig unberechtigt: Denn nur 32 Prozent der Kunden fahren mit dem Auto vor, während mehr als die Hälfte zu Fuß kommt. Annette Jensen