Sandsäcke signalisieren den Ernst der Lage

UNO-Generalsekretär Butros Ghali empfiehlt eine Invasion auf Haiti / Die Militärmachthaber des Karibikstaates appellieren an den nationalen Stolz der Inselbewohner  ■ Aus Port-au-Prince Thomas Schmid

Im Zentrum von Port-au-Prince sind nun die ersten Sandsäcke aufgetaucht. Die Zugangsstraßen zum blütenweißen Nationalpalast, dem Sitz der Regierung, sind gesperrt. Zwar kullert überall der Sand aus den aufgeschlitzten Säcken, und die Barrikaden wären selbst für die Schrottautos, die hier weitgehend das Straßenbild bestimmen, bestimmt kein Hindernis. Aber immerhin, man signalisiert den Ernst der Lage. Sandsäcke türmen sich nun auch auf dem stacheldrahtbewehrten Dach der US-Botschaft, die einige hundert Meter weiter entfernt liegt. Die drohende Invasion ist – nach dem Fußball – das Thema Nummer zwei in der Hauptstadt Haitis.

Am späten Freitagabend hatte Butros Butros Ghali dem Sicherheitsrat der UNO eine militärische Intervention im Karibikstaat empfohlen. Das höchste Gremium der Vereinten Nationen tritt heute zur Beratung und eventuellen Entscheidung über diese Empfehlung zusammen. Alle Sanktionen der UNO und der USA haben bislang nichts gefruchtet. Das Wirtschaftsembargo, das der UN-Sicherheitsrat im Mai verhängt hatte, trifft vor allem die ärmeren Schichten, die Sperrung der Bankkonten bringt einen Teil der Geschäftswelt in Nöte. Doch die militärische Kamarilla, die das ärmste Land der westlichen Hemisphäre beherrscht, scheint all das nicht zu jucken. Nun schlägt der UNO-Generalsekretär in seinem jüngsten Schreiben vor, 15.000 ausländische Soldaten in Haiti zu stationieren, um dem landesweiten Terror ein Ende zu setzen und den demokratisch gewählten, vor drei Jahren aber von der Macht geputschten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide wieder in sein Amt zu bringen.

In einer ersten Phase müßten die Interventionstruppen vor allem auch die Kontrolle der Schiffshäfen und des Flughafens der Hauptstadt übernehmen, in einer zweiten Phase sollen die haitianische Armee modernisiert und auf der Insel eine neue Polizei geschaffen werden, um es der „legitimen Regierung“ zu ermöglichen, reguläre Parlamentswahlen durchzuführen. Die Aufgaben der zweiten Phase, so schlägt Butros Ghali vor, könnten einer Blauhelm-Truppe anvertraut werden. Die Durchführung der ersten Phase aber übersteige zur Zeit die Kräfte und Mittel der Vereinten Nationen. Da ist also die US-Army gefragt – oder eine von ihr dominierte interamerikanische Truppe. Verschiedene lateinamerikanische und karibische Staaten haben nach Angaben der US-Botschafterin bei der UNO bereits zugesagt, insgesamt 2.000 bis 4.000 Soldaten abzustellen.

Der Nervenkrieg um Haiti eskaliert. Am vergangenen Mittwoch mußten sämtliche über hundert Mitarbeiter der UNO und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die die Lage der Menschenrechte auf der Insel beobachteten, das Land verlassen. Noch am selben Tag gab Air France, die einzige Fluggesellschaft, die seit Einstellung der US-Linien am 25.Juni in Port-au-Prince noch landet, bekannt, daß sie ab 1. August sämtliche Flüge nach Haiti einstellen werde. Am Donnerstag führte die FRAPH („Bewaffnete Revolutionäre Kräfte des haitianischen Volkes“), eine Partei, die der politische Arme des härtesten Kerns der Militärs ist, eine Kundgebung gegen eine mögliche Invasion durch – es war der 14. Juli, Jahrestag des Sturms auf die Bastille. Ein symbolträchtiges Datum, auch für Haiti, dessen Sklaven damals die Parolen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ernst nahmen und fünfzehn Jahre später in einem erbitterten Krieg gegen die französischen Kolonialherren die Unabhängigkeit erkämpften. Trotzdem: Zur Kundgebung auf dem zentralen Platz der Hauptstadt, bei der eine Reihe bekannter regimetreuer Politiker sprachen, kamen gerade knapp tausend Personen – angesichts der weithin erwarteten Invasion für das Regime eine ausgewachsene Blamage. Die Hauptparolen lauteten: „Nieder mit der Intervention! Nieder mit Aristide!“

Dieser aber kommt nun schneller als gedacht – durch den Äther gerauscht. Am Freitag wurde „Radio Demokratie“ geboren. Es sendet täglich Botschaften des Präsidenten im Exil aus. Die Programme werden in Washington zusammengestellt. Die amerikanische Luftwaffe besorgt den technischen Rest. Aristide, der lange Zeit ziemlich unverblümt eine militärische Intervention gefordert hatte, sprach sich in den letzten Monaten bei verschiedenen Gelegenheiten entschieden gegen eine Invasion aus – offenbar um seinen Gegnern in Port-au-Prince nicht den Vorwand für eine patriotische Kampagne gegen ihn als Landesverräter zu liefern.

Letzte Woche nun hat er seine Position präzisiert. Als Präsident könne er nicht zur ausländischen Intervention aufrufen, ließ er in Washington verlauten, da das Verfassungsbruch wäre und ihn sein Amt kosten würde. Doch verlangte er gleichzeitig eine „schnelle und definitive Aktion der internationalen Gemeinschaft“. Honni soit qui mal y pense.