Freudentaumel an der Copacabana

■ Nach dem WM-Sieg Brasiliens beginnt das Wettrennen zum Regierungspalast

Rio de Janeiro (taz) – Die Weltbesten. Die ersten vierfachen Weltmeister weltweit. Die Unvergleichlichen. Nach dem Sieg über Italien am Sonntag genießt Brasilien den Triumph, als erstes Land der Welt zum vierten Mal WM- Sieger zu sein. Brasiliens Präsident Itamar Franco sah sich durch den Sieg in seinem Glauben an die große Zukunft des südamerikanischen Landes bestätigt: „Der Einsatz zum Wohl des Volkes, und nicht das Gejammere über die desolate Lage, werden Brasilien im 21. Jahrhundert zu einer großen Nation machen.“ Nachdem die brasilianische Nationalelf heute in Recife und Rio durch die Straßen zieht, will Franco anschließend den Spielern in Brasilia persönlich zu ihrem Erfolg gratulieren.

In Rio de Janeiro explodierte nach der qualvollen zweistündigen Partie, die mit Elfmeterschießen entschieden wurde, die Stimmung. „Taffarel, Taffarel, Du bist vom Himmel gefallen“, feierten über hunderttausend Menschen am Strand von Copacabana die Leistung des brasilianischen Torhüters im Finale. Ohrenbetäubende Karnevalsmusik drosch die Fans in den Taumel des Triumphs. „Es ist einfach zu schön, Brasilianer zu sein“, brüllten die Tänzer auf der Bühne und klopften sich stolz auf die Brust.

Weit weg vom Strand, in den engen Gassen der Favela „Jacarezinho“, im Armutsviertel des kleinen Krokodils, feierten die Eltern des Stürmers Romario den Triumph der Nationalelf. „Mein Sohn ist der einzige Heilige, an den ich glaube“, schwört der Vater Edevair Faria, der in der Favela eine Bar betreibt. „Ich bin der beste der Welt. Ich habe bewiesen, daß ich nicht rede, sondern handle“, kommentiert der 28jährige Stürmer aus Rio ohne Bescheidenheit den Triumph in Kalifornien.

Brasiliens Präsidentschaftskandidat für die Arbeiterpartei PT, Luis Inacio Lula da Silva, gab sich ebenfalls euphorisch. Nach dem Elfmeterschießen kletterte der Gewerkschaftler, der das Endspiel zusammen mit 300 Metallern in São Paulo anschaute, mit einer brasilianischen Nationalfahne auf die Bühne und streckte die Hände in den Himmel. Doch Politik und Sport, so der 49jährige Ex-Metaller, hätten nichts miteinander zu tun: „Das Volk kann sehr wohl unterscheiden, was Fußball, und was Politik ist. Wenn die Siegesfeiern vorbei sind, werden die Brasilianer wieder mit der harten Wirklichkeit konfrontiert.“

Lulas Herausforderer Fernando Henrique Cardoso, der für eine Koaltion aus Konservativen und Sozialdemokraten ins Rennen geht, fand hingegen sofort den Übergang vom Spielfeld ins Kabinett. „Die nächsten vier Jahre gehören mir“, versicherte er den Fernsehreportern. „Wir werden die Wahlen gewinnen, und sei es mit Elfmeterschießen“, erklärte er siegesbewußt.

Der ehemalige Finanz- und Außenminister Cardoso verfolgt bereits seit geraumer Zeit die Strategie, seine Wähler mit bewußt zur Schau gestelltem Optimismus zu gewinnen. Ein siegreiches Brasilien, das nicht nur zu Höchstleistungen im Sport, sondern auch in der Wirtschaft fähig ist, gehört zum Image des Sozialdemokraten. Optimisten wählen Cardoso, Pessimisten und Nörgler, die nach der Devise „Je schlimmer, desto besser“ verfahren, stimmen für Lula, so jedenfalls hätte es Cardoso gerne. Cardosos Parteikollege Marcello Alencar, ehemaliger Bürgermeister von Rio und jetzt Kandidat bei den Gouverneurswahlen, die mit den Präsidentschaftswahlen am 3. Oktober zusammenfallen, bestätigt die Taktik Cardosos ohne Umschweife: „Es ist ganz klar, daß der WM-Sieg Brasiliens Fernandos Kandidatur stärken wird.“ Astrid Prange