„Die Situation in der Stadt ist unglaublich explosiv“

■ Mit der Ankunft immer weiterer Flüchtlinge aus dem benach- barten Ruanda droht der zairischen Grenzstadt Goma der Kollaps

Sollten sich die Befürchtungen der Hilfsorganisationen bestätigen, wird Goma zur Millionenstadt wider Willen. Die idyllisch am nördlichen Ende des Kivu-Sees gelegene Kleinstadt im Osten Zaires trifft der Massenexodus der Ruander völlig unvorbereitet. Der Infrastruktur des ursprünglich für 20.000 Einwohner ausgelegten Orts droht der Kollaps. „Die Situation in der Stadt ist unglaublich explosiv“, sagt die Vertreterin der Ärzte-Hilfsorganisation Médecins sans Frontières, Samantha Bolton. Mit der Ankunft weiterer Flüchtlinge rumort es zunehmend unter der zairischen Bevölkerung. Schon vor Wochen, als die französische Intervention in Ruanda von Goma aus begann, hatte sie unter den Versorgungsengpässen gestöhnt. Die Lage hat sich seitdem dramatisch verschärft. Die Angst vor Seuchen ist angesichts der unbeschreiblichen hygienischen Verhältnisse allgegenwärtig.

„Die Flüchtlinge erhalten wenigstens Nahrungsmittelhilfe, aber wir, wir können sehen, wie wir über die Runden kommen“, machte am letzten Freitag ein empörter Zairer vor laufender Fernsehkamera seinem Ärger Luft. Die Preise für Benzin, Lebensmittel oder Wasser schnellten innerhalb von drei Wochen in astronomische Höhen. Die inflationäre nationale Währung, der Neue Zaire, ist als Zahlungsmittel unbrauchbar geworden. „Der Dollar regiert die Stadt“, schimpft ein Mechaniker, der mangels anderer Beschäftigung devisenstarke Europäer chauffiert.

Wer Dollar hat, kann sich die letzten Ressourcen der Stadt noch leisten – ein schwacher Trost für jene, die selbst mit dicken Bündeln zairischer Geldnoten kaum mehr eine Flasche Wasser bekommen. Auch in Gomas teuerstem Hotel, dem von Journalisten belegten „Masques Hotel“, ist fließendes Wasser selten geworden, immer wieder fällt der Strom aus. Das öffentliche Leben der Stadt war bereits seit der mißtrauisch beäugten Ankunft der französischen Soldaten beeinträchtigt. Nun ist der totale Infarkt in Sicht.

Das Fußballstadion war zusammen mit dem zentralen Großen Platz ein erstes Sammelbecken für die verängstigten Menschen aus Ruanda geworden. Jetzt sind alle öffentlichen Plätze belegt. Selbst die Lastwagen des Roten Kreuzes drohen im Menschengewühl steckenzubleiben. Die heruntergekommen wirkenden Gebäude der Stadt verstärken noch den Eindruck des Durcheinanders – staubig und verrottet ist die Bausubstanz vieler Gebäude.

Um so größer ist der Kontrast, kommt man an den bereits seit Monaten bestehenden Flüchtlingslagern mit ihrem auffälligen Regenschutz aus blauen Plastikplanen vorbei zum westlichen Stadtrand. Hier, am sanft abfallenden Ufer des Kivu-Sees, reiht sich hinter Mimosen- und Bougainvillea- Hecken Villa an Villa. Auch Zaires Herrscher Mobutu Sese Seku war einst dem Reiz dieses Panoramas erlegen und ließ dort einen aufwendig geschützten Palastkomplex errichten. In dieser Umgebung richteten die Franzosen auch ihre Koordinierungsstelle für die humanitäre Hilfe ein. Von ihrer Villa aus sollte sie eigentlich die Hilfe für die Flüchtlinge in Ruanda organisieren. Nun wird sie von den Ereignissen vor der eigenen Haustür überrollt. Ralf Krüger (dpa), Goma