: „Dann lehnen wir im Dezember ab“
■ Am Donnerstag stimmt das Europaparlament über den neuen Kommissionspräsidenten Santer ab / Interview mit dem Vorsitzenden der SPD-Gruppe im EP, Gerhard Schmid
taz: Herr Schmid, die zwölf Regierungen der Europäischen Union haben den luxemburgischen Premier Jacques Santer als Kommissionpräsident ausgewählt. Sie haben starke Bedenken angemeldet. Wird die sozialistische Fraktion im Europaparlament am Donnerstag gegen Jacques Santer stimmen?
Gerhard Schmid: Wir haben Herrn Santer zu einem Gespräch mit der Fraktion eingeladen, und danach wird man sehen, was man tut. Unsere Bedenken sind nicht politischer Art, etwa daß Santer die europäische Einigung nicht vorwärtstreiben wollte oder daß er – wie die britische Regierung das will – eine große Freihandelszone ohne soziale Ergänzung wollte. Auch bei der Umweltpolitik, beim Maastrichter Vertrag, bei der Währungsunion gibt es, nach allem, was wir bisher über ihn wissen, nichts gegen ihn zu sagen.
Und wo liegen dann Ihre Bedenken?
Durchsetzungsfähigkeit. Da muß man die Rahmenbedingungen sehen. Der Ost-West-Konflikt ist weggefallen. Das war, bei allem Negativen, Kitt nicht nur für die Nato, sondern auch für die Europäische Gemeinschaft. Dieser Außendruck ist weggefallen. Dann haben wir nicht nur in Deutschland eine Renationalisierung der Politik. Wenn 1996 nicht weiter an der EU gebaut wird, bekommen wir eine Entwicklung nach rückwärts. Und in dieser Situation brauchen wir einen Kommissionspräsidenten, der durchsetzungsfähig ist und Konflikten nicht ausweicht, der mit einer gewissen Zähigkeit Ziele verfolgt. Nach dem, was wir über Herrn Santer wissen, ist er nicht die Art von Mensch.
Herr Santer war Vizepräsident des Europäischen Parlaments, er hat sich mehr mit dem Parlament beschäftigt als Delors, der die Abgeordneten gern auch mal übergangen hat. Wird Santer die Zusammenarbeit zwischen Parlament und Kommission nicht stärker fördern als etwa Delors?
Das will ich gar nicht bestreiten. Nur, der Hauptgegner des Kommissionspräsidenten war in der Vergangenheit nie das Parlament, sondern die Regierungen. Er muß sich vor allem gegen die zwölf oder künftig 16 Regierungen durchsetzen. Das Binnenmarktprojekt, das Weißbuch, das waren alles Projekte, die der Kommissionspräsident den Regierungschefs vorgelegt hat. Wenn das aber ein Mann ist, der Konflikten ausweicht, dann habe ich den Anfangsverdacht, daß er nicht viel vorlegen wird.
Verfügen die Parlamentarier denn über Erfahrungen mit Santer?
Nein. Was wir wissen, ist, wie er sich als Regierungschef verhalten hat. Was wir wissen, ist, wie die Luxemburger Regierung im Vorfeld der Maastricht-Verhandlungen agiert hat, wie die Luxemburger Regierung während ihrer Ratspräsidentschaft mit dem Bosnien- Konflikt umgegangen ist. Nämlich gar nicht.
Glauben Sie, daß das Parlament den Konflikt mit den Regierungen riskiert und Santer ablehnen wird?
Entscheidend ist, ob das Parlament nach der kleinen Krise, in die die britische Regierung die Europäische Union in Korfu gestürzt hat, jetzt auch Schwierigkeiten machen will. Ich bin der Meinung, da brennt überhaupt nichts an. Viel wichtiger ist, daß wir eine vernünftige Kommission bekommen. Der Präsident entscheidet nicht allein, er hat keine Richtlinienkompetenz wie etwa der Bundeskanzler in der Regierung. Aber es trägt dazu bei, ob man dann im Dezember der gesamten Kommission zustimmen kann oder nicht.
Kann das Parlament jetzt zu Herrn Santer nicken und ihn im Dezember, wenn über alle Kommissare gemeinsam abgestimmt wird, ablehnen?
Es kann durchaus sein, daß man jetzt sagt, wir akzeptieren Santer, aber wenn dann noch weitere heikle Bestandteile dazukommen, dann lehnen wir im Dezember ab. Beispielsweise, wenn unter den Kommissaren zuwenig Frauen sind, wenn die Italiener auf die verrückte Idee kommen, einen Faschisten zu schicken, oder wenn die britische Regierung einen europafeindlichen Kommissar benennt.
Der FDP-Generalsekretär Hoyer hat angekündigt, daß die Bundesregierung noch mal den FDP- Mann Bangemann vorschlägt. Wäre das für Sie ein Grund, die Kommission abzulehnen?
Es wäre ein weiterer Sargnagel. Die FDP hat bei der Europawahl für ihr europapolitisches Programm vom Wähler nicht mal die nötigen fünf Prozent bekommen. Herr Bangemann allein wäre für uns noch kein Ablehnungsgrund, aber wenn noch ein paar solcher Sargnägel zusammenkommen, dann wird es schwer sein, die nötigen 284 Abgeordneten zu finden, um die von den Regierungen vorgeschlagene Kommission zu bestätigen. Interview: Alois Berger
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