Volkes Stimme

■ Wird die Pressefreiheit durch die neue Praxis beschnitten?

München (taz) – Erinnern wir uns an den unvergeßlichen Abend in der Bierhalle, den wir mit Peter Gauweiler verbrachten. Peter stand am Pult, geschunden von der Kanzlei-Affaire und in der Absicht, am Ende der Veranstaltung seinen Rücktritt als bayerischer Umweltminister bekanntzugeben. Seine ersten Worte allerdings galten der Presse: Mit haßerfülltem Blick und drohender Stimme bellte er ein „Wir lassen uns nicht alles gefallen in Bayern“ in Richtung der versammelten Journaille, die er einer „Dreckskampagne“ bezichtigte. Da wurde die Stimmung im Zelt so richtig gut, der Applaus dröhnte. So laut wie bei keiner seiner späteren politischen Ausführungen mehr.

Es gehört mittlerweile zum Standardrepertoire vieler Politiker, durch Medienschelte beim Publikum zu reüssieren – und diese fragwürdige Praxis ist nicht nur bei CSU-Politikern zu finden. Interessanterweise aber vor allem bei denen, deren Machenschaften durch die Presse bekannt wurden. „Pfüat euch Gott, Arschlöcher“, so begrüßte Gauweiler kürzlich Journalisten vom Stern, dem Blatt, das seine Kanzleiaffaire aufgedeckt hatte. In jüngerer Zeit prägte der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) das Schlagwort vom „Schweinejournalismus“, beließ es jedoch nicht bei bösen Worten, sondern verschärfte im Mai in seinem Bundesland das Presserecht.

Doch nicht nur im Saarland wird versucht, die Presse in Schranken zu verweisen. „Die Journalisten, jahrzehntelang als die vierte Macht im Staate respektiert“, schrieb der Spiegel unlängst, „gelten nun als Störenfriede.“ „Jetzt reicht es!“ titelte die Zeitschrift der IG Medien in ihrer aktuellen Ausgabe. „Angriffe auf Journalisten sind Angriffe auf die Pressefreiheit“, klagt das Blatt über zunehmende staatliche Übergriffe auf Journalisten. Allein dieses Jahr durchsuchten Staatsanwälte die Redaktionen von Focus, Stuttgarter Zeitung und der Münchener Abendzeitung. Mitte Juni schnüffelten Beamte bei der Augsburger Allgemeinen nach Fotos der Kurden-Demonstration.

Jetzt reicht es – dachten sich auch Münchner Studenten der „Deutschen Journalistenschule“ und luden Journalisten, Politiker und Experten zu einer Podiumsdiskussion. Springer-Justitiarin Renate Damm, die eine Verfassungsklage gegen Lafontaines neues Presserecht zusammen mit dem Presserat vorbereitet, sieht die Pressefreiheit „weitestgehend in Gefahr“, auch wenn das in der Praxis noch nicht so spürbar sei. „Wehret den Anfängen“, warnte sie denn auch. Die Justitiarin ärgere, daß Journalisten immer als erste zur Verantwortung gezogen würden, wenn Politiker nicht gut dastehen. Michael Stiller, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, kritisierte an Lafontaine, Machtmittel für einen persönlichen Rachefeldzug mißbraucht zu haben.

Hans Wagner, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni München, konnte dagegen nichts Problematisches an dem „läppischen kleinen Vorgang im Saarland“ erkennen: „Ein Angriff auf die Pressefreiheit ist nicht zu sehen.“ Vielmehr müßten die Medien noch mehr öffentlich kontrolliert werden. „Soll das eine Art Reichsschrifttumskammer werden?“ fragte BR-Redakteur Holger Goblirsch entsetzt. Vielleicht wünschen sich manche noch weiter zurück: Im Mittelalter machten wütende Herrscher mit Überbringern unbequemer Nachrichten kurzen Prozeß: Sie wurden geköpft. Corinna Emundts