Gefährdete Freiheit des Geistes

■ Bangladesch: Regierung schweigt auf EU-Initiative für Ausreise Taslima Nasrins / Sri Lanka verbietet ihren Roman

Dhaka/Berlin (taz) – Mit Schweigen reagiert die Regierung in Bangladesch bislang auf die Inititative der Europäischen Union, sich für eine Ausreisegenehmigung von Taslima Nasrin einzusetzen. Die von islamischen Fundamentalisten mit einem Mordaufruf bedrohte Schriftstellerin hatte sich zuvor mit einem Hilferuf ans Ausland gewandt. Nur unter der Bedingung, daß sein Name nicht genannt wird, wollte sich gestern ein hoher Regierungsfunktionär in der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka äußern: Er verurteilte den Einsatz der EU als „unmoralisch“. Schließlich versuche Taslima Nasrin, gegen die die Regierung Haftbefehl wegen ihrer Kritik am islamischen Recht erlassen hat, vor dem Gesetz zu fliehen.

Auch der Minister für staatliche Bauprojekte, Rafiqul Islam Miah, der als einziges Regierungsmitglied zum Thema Taslima Nasrin antworten wollte, verweigerte jeden Kommentar auf die Frage, ob die Regierung der Autorin erlauben würde, auszureisen. Er verwies auf den Haftbefehl und erklärte, die Rechtsorgane seines Landes handelten transparent, verantwortungsvoll und unabhängig. „Ich persönlich denke, daß Taslima Nasrin vor Gericht erscheinen sollte und dort ihre Erklärung abgeben sollte, wenn sie etwas zu sagen hat“, sagte er und fügte hinzu: Wenn sie sich bedroht fühle, solle sie sich unter den Schutz der zuständigen Organe stellen.

Außenminister Klaus Kinkel, der mit seinem Einsatz für Taslima Nasrin auf einen in der taz und anderen europäischen Zeitungen erschienenen offenen Aufruf des Schriftstellers Martin Walser reagiert hatte, hat in einem Brief an Walser angeregt, Nasrin durch den deutschen oder europäischen Pen- Club einzuladen.

Taslima Nasrin, die durch ihre kritischen Bemerkungen zum islamischen Rechtssystem und scharfe Verurteilung der Unterdrückung der Frauen zum Feindbild Nummer eins für islamistische Fundamentalisten in Bangladesch geworden ist, wird mehr und mehr zum Politikum im gesamten indischen Subkontinent. Am Montag kündigte die Regierung von Sri Lanka das Verbot ihres Romans „Lajja“ („Schande“) an. Begründung: Man wolle die Gefühle der muslimischen Minderheit im Lande schützen. In dem Land mit einer mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung leben rund sieben Prozent Muslime. Dieser zunächst erstaunlich scheinende Schritt der srilankischen Regierung ist nach den Worten des politischen Kommentators der in Neu-Delhi erscheinenden indischen Tageszeitung The Pioneer, Ajoy Bose, vor allem damit zu erklären, daß in Sri Lanka im August Wahlen anstehen. Die Regierungspartei, die seit siebzehn Jahren an der Macht ist, muß bei diesen Wahlen ernsthaft damit rechnen, abgelöst zu werden. Deshalb will sie sich beim muslimischen Bevölkerungsteil Unterstützung erkaufen. In einem vehementen Leitartikel verurteilte Bose gestern diesen Schritt der srilankischen Regierung. Er warnte vor einer Wiederholung der Erfahrungen im Falle des Schriftstellers Salman Rushdie. Damals habe die indische Regierung als erste den beschämenden Schritt gemacht, das Buch „Satanische Verse“ zu verbieten, weil die Congress-Partei Rajiv Gandhis hoffte, ihre Schwäche durch Zugeständnisse an die Fundamentalisten ausgleichen zu können. „Die Freiheit des Geistes kann durch offizielle Dekrete nicht in Ketten gelegt werden“, schreibt Bose und fügt hinzu: „Wer es dennoch versuchen will, täte gut daran, sich zu erinnern, wie die Nazis Bücher verbrannten. Am Ende scheiterten sie doch.“ Jutta Lietsch