Herr Töpfer, übernehmen Sie!

■ In Albanien bedrohen deutsche Pestizide die Gesundheit

Berlin/Milot (taz/AFP) – Das Leben ist gefährlich im 3500-Einwohner-Ort Milot, und am schlimmsten trifft es ungeborene Kinder. Seit einem Jahr ist in der albanischen Stadt kein Baby mehr lebend auf die Welt gekommen, dessen Mutter das Pech hatte, in der Nähe des ehemaligen Lebensmitteldepots zu wohnen. Nur Fehl- und Totgeburten wurden verzeichnet. Dort lagern 94 Tonnen hochgiftiger Pestizide, darunter das in der EU verbotene Fischgift „Toxaphen“. Ganz legal hatte das Hannoveraner Abfallbeseitigungsunternehmen Schmidt-Cretan 1991 und 1992 die brisante Ladung nach Albanien exportiert – deklariert als „humanitäre Hilfe“.

„Die Symptome sind fast immer dieselben“, klagt Drita Hysa vom medizinischen Zentrum in Milot. „Der Fötus ist nicht entwickelt, und die Schwangeren erleiden im fünften Monat eine Fehlgeburt.“ Zwischen Februar und Juni verloren fünf Frauen ihr Kind, drei Mütter brachten eine tote Frühgeburt zur Welt. Wer sich nur zehn Minuten lang neben dem Lager aufhält, bekommt Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. Direkt neben dem Giftmüll werden tonnenweise Getreide und Speiseöl gelagert, und nur wenige Meter entfernt befindet sich eine Schule für 800 Kinder. Auch eine kleine Weinkelterei und zwei Wohnblocks mit rund 500 Mietern liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des Depots. „Fast alle Kinder hier haben schlimme Hautentzündungen“, berichtet die 35jährige Kimete Kuci. Der achtjährige Abisi Balla leidet seit zwei Monaten an Blutungen. Auch Transfusionen konnten ihm bislang nicht helfen. Ähnliches erleben viele Familien. Die Pestizide enthalten nach Expertenangaben hochgiftige und krebserregende Stoffe, unter anderem Quecksilber, Phosphor und Dioxine. „Wenn diese Chemikalien nicht schnell weggeschafft werden, sind die gesundheitlichen Konsequenzen nicht mehr zu übersehen“, sagt die Krankenschwester Zhevaire Hoxha. Auch Bürgermeister Gjok Gjoka bringt für eine weitere Lagerung der Pestizide keinerlei Verständnis mehr auf. Mehrmals hatte er sich an die albanische Regierung und die Gesundheitsbehörden gewandt. „Bislang ist nichts passiert“, stellt er resigniert fest, „dabei hat die deutsche Regierung versprochen, den Müll zurückzuholen.“

Das Bonner Umweltministerium erklärte seinerseits, ihm lägen keine Informationen des albanischen Gesundheitsministeriums vor, die die Meldungen über Fehlgeburten bestätigten. Es sei geplant, die insgesamt 470 Tonnen Pestizide nach Deutschland zurückzuholen; mit der Aktion sei Anfang Oktober zu rechnen. Gegenüber der albanischen Regierung erklärte Töpfer laut Greenpeace, er wolle das Gift jedoch „nur aus rein humanitären Gründen“ zurückholen lassen, eine rechtliche Verpflichtung gebe es nicht. Die Albaner sollen nun die acht Giftlager selbst räumen und die Pestizidfässer zum Hafen in Durres bringen, wo die Deutschen die Fracht übernehmen werden. Doch das staatliche Umweltschutzkomitee Albaniens sieht sich auch bei finanzieller Hilfe Deutschlands technisch dazu nicht in der Lage. Insgesamt liegen in dem Armenhaus Europas mehr als 4.000 Tonnen Sondermüll – exportiert von Weltbank, EU und Deutschland. Nach Ansicht von Experten droht bei den hohen Temperaturen, die zur Zeit in Milot herrschen, eine noch größere Katastrophe. Die Fässer, von denen einige bereits lecken, könnten sogar explodieren, fürchtet der albanische Umweltfachmann Lirim Selfo. Auch das Grundwasser und der See von Shkoder an der Grenze zu Montenegro könnten verseucht werden. Der Greenpeace-Experte Jan Riskens hatte nach einer Inspektion in Milot in einem offenen Brief an Klaus Töpfer dieselben Befürchtungen geäußert. Ob die Pestizide den Menschen erst um die Ohren fliegen müßten, bevor etwas geschehe, wollte Riskens wissen. Töpfer selbst hatte am 10. März vor dem Bundestag angekündigt, die Gifte zurückzuholen, jedoch wurde bisher noch nicht einmal ein Auftrag ausgeschrieben. F. Schmidt