Bei jeder Anfrage ist Parteienstreit programmiert

■ Weder Regierung noch SPD haben Konzeptionen für künftiges UNO-Vorgehen

Die heutige Sondersitzung des Bundestages dürfte erneut deutlich machen, daß Regierung und Opposition an den weltweiten Realitäten vorbeidebattieren. Bis vor drei Tagen waren sich nicht einmal die Koalitionsparteien über eine öffentliche Begründung von Sinn und Zweck der kostspieligen Veranstaltung einig. Gerade auch wegen der Entscheidung der Koalition, die Verabschiedung eines Entsendegesetzes zur Regelung künftiger Bundeswehreinsätze sowie der parlamentarischen Mitwirkung an ihrem Zustandekommen auf die nächste Legislaturperiode zu verschieben, ist die Debatte anachronistisch.

Die Regierung verbreitet die Illusion, es werde zumindest in diesem Jahr keine Anfragen der UNO zur Teilnahme von Bundeswehreinheiten an Militäroperationen geben. Verteidigungsminister Rühe und sein Generalinspekteur Naumann schließen sogar die Teilnahme für den Zeitraum von weiteren drei bis fünf Jahren aus, während derer deutsche Soldaten für derartige Einsätze ausgebildet werden sollen. Interne Voranfragen aus dem UNO-Hauptquartier hat die Bundesregierung bereits erhalten. Sie hat New York aber bislang vertröstet.

Diese Anfragen könnten jedoch schon sehr bald auch öffentlich gestellt werden – wenn es zu einem Bosnien-Abkommen kommt und zu dessen Durchsetzung kurzfristig der Bedarf für 50.000 zusätzliche Unprofor-Soldaten entsteht, oder wenn die für Ruanda geplante 5.500-Mann-Truppe der UNO nicht zustandekommt, und die Franzosen mit dem Abzug ihrer Streitkräfte beginnen. Von neuen Krisenorten, für die der UNO-Sicherheitsrat die Stationierung von Truppen beschließt, einmal ganz abgesehen. Ohne Entsendegesetz wird im Fall einer konkreten Anfrage erneut ein heftiger Streit zwischen Regierung und Opposition nicht über das politische Pro und Contra eines solchen Einsatzes, sondern über Verfahrensfragen ausbrechen.

Doch selbst nach Verabschiedung eines Entsendegesetzes ist bei jeder Anfrage mit heftigem Streit zu rechnen. Denn es gibt weder bei der Regierung noch bei der SPD bis heute konzeptionelle Vorstellungen über das künftige Handeln der UNO im zivilen wie im militärischen Bereich des peace- keeping. Als einzige Partei hat bislang Bündnis 90/Die Grünen hierfür konkrete Vorschläge entwickelt und zum Teil als Bundestagsanträge vorgelegt.

Die Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren die – nach wie vor bestehende – Chance nicht wahrgenommen, als politisch und wirtschaftlich einflußreiche Mittelmacht ein Konzept für eine Reform der UNO zumindest in diesem Bereich zu entwickeln, hierfür Bündnispartner im Norden und im Süden zu finden, und auf diese Weise Druck zu machen auf die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, die sich bisher gegen Reformen sperren, weil sie dann Privilegien abzugeben hätten. Und die SPD hat bisher wenig dafür getan, die Regierung in diese Richtung zu bewegen. Andreas Zumach