Mode in Massen

Die Geschichte des Hausvogteiplatzes  ■ Von Dora Heinze

Der jüdische Kaufmann Valentin Mannheimer fertigte 1839 als erster ein Damenmantelmodell gleich fünfmal an. Damit war die Idee der Konfektion, Mode für alle und für jeden Geldbeutel, geboren. Die Antwort auf die Pariser Haute Couture, das extravagante Einzelstück, kam aus Berlin, vom Hausvogteiplatz. Die Idee wurde vielfach kopiert. Um den Hausvogteiplatz entstand eine neue Branche, die zur zweitstärksten Industrie Berlins werden sollte, rund 1.000 Firmen gruppierten sich um den Platz der Mode. Die Eigentümer: meist jüdische Kaufleute. Fast die gesamte deutsche Damen- und Kindermode wurde hier entworfen und verkauft. Aber auch im Ausland wurde die Berliner Konfektion, durchweg bezahlbare und tragbare Qualitätsmode, die flexibel auf jeden neuen Pariser Trend reagierte, zum Begriff. Großeinkäufer aus vielen Ländern kamen regelmäßig an den Platz.

Doch auch ein kulturelles Umfeld wurde von den Modemachern angezogen: Die Bekleidungszaren vergaben Stipendien für Musiker und Maler, fertigten kostenlos die Kostüme für Revuen und Theateraufführungen, sponserten Sportveranstaltungen und förderten die junge Filmbranche. Auch der Nachwuchs lag den Großverdienern der Konfektion am Herzen. In den eigenen Häusern konnten junge Modetalente ihre „verrückten“, von der Avantgarde beeinflußten Ideen verwirklichen, der Chef bezahlte beispielsweise so ausgefalle Stoffträume wie ein „Cocain-Kleid“.

Doch schon in den 20er Jahren bezichtigten die Nationalsozialisten die Konfektionshäuser jüdischer Eigentümer, mit ihren Kleiderschöpfungen deutsche Moral und Sitte zu gefährden und durch die Offenheit für den Pariser Chic den deutschen Geist zu verfälschen. 1933 an die Macht gekommen, gingen die Nazis gleich daran, die Berliner Modeindustrie einzuschränken. Sie verhängten Kreditsperren, Stofflimitierungen, Exportbeschränkungen, aber auch Verbote für Modeschauen sowie generelle Werbebeschränkungen und Richtlinien für die Arbeitsweise. Herbert Curtis aus London, ehemals Prokurist am Hausvogteiplatz, kann sich noch gut daran erinnern: „Da hat man uns Vorschriften gemacht, wieviel Prozent der Stoffe wir zum Nähen an jüdische und nichtjüdische Arbeiter herausgeben sollten. Aber wie kann ein Geschäft mit solchen Vorschriften geführt werden? Einen festen Kunden zu bekommen dauert lange, ihn zu verlieren geht sehr schnell.“ In einigen Firmen fanden sich auch Angestellte, die als „aufrechte“ Nazis die jüdischen Arbeitgeber kontrollierten, ob Auflagen auch eingehalten wurden. In der Firma „Leopold Seligmann“ denunzierte ein Arbeiter der Kürschnerabteilung den Prokuristen, den Einkäufer und den Modellentwerfer, die daraufhin wiederholt verhaftet und ohne Angabe von Gründen einige Tage festgehalten wurden.

Auch die Aufträge wurden spärlicher. Renommierte Firmen gaben schließlich auf, ihre Besitzer verließen Berlin und gingen ins Ausland. Norbert Jutschenka und Hansen Bang gingen nach Amerika, die Eigentümer von „Sport- Adam“ sowie „Block & Simon“ nach England. Für sogenannte „arische“ Angestellte bot sich nun die Möglichkeit, sich mit eigenen Modefirmen selbständig zu machen. Einige sicherten ihren Start mit günstigen Krediten und Staatsaufträgen ab. Andere nutzten die Chance, Firmen mit langer Tradition und einem eingearbeiteten Team zu Spottpreisen zu erwerben. Am Hausvogteiplatz wechselten in den Firmenschildern die Namen. Berliner Mode kam nun aus „arischer“ Hand. In der Pogromnacht November 1938 brannten die Kleiderständer der letzten jüdischen Firmen auf dem Platz; bis Anfang des Jahres 1939 waren die letzten Firmen „zwangsarisiert“. Insgesamt zweihundert der besten Modemacher und Konfektionäre hatten bis dahin die Stadt verlassen. Eine hundertjährige Tradition war in kurzer Zeit zerschlagen. Von denen, die in der Stadt blieben, kamen viele im KZ um.

Doch nicht jedes Emigrationsland bot den Verfolgten Schutz. Die Eigentümer der Firma Robert Lachotzki, Hausvogteiplatz Nr. 12, Kleider und Mäntel „en gros“, wanderten nach Holland aus. Mit anderen Berliner Konfektionären bauten sie in Amsterdam die holländische Konfektion auf. Nach der Besetzung des Landes wurden sie von den Nazis sofort aus ihren Geschäften abgeholt. Robert Lachotzki wurde 1942 in Auschwitz vergast.

1945: der Hausvogteiplatz liegt in Schutt und Asche. Keiner der jüdischen Konfektionäre, die die Nazizeit überlebt hatten, kommt hierher zurück. Der Platz liegt nun in der sowjetischen Besatzungszone, nur wenige Konfektionäre, Nicht-Nazis, wurden in ihre Geschäfte zurückgelassen. Doch diese zieht es mit ihren Geschäften bald in Ku'damm-Nähe, in den Westteil der Stadt.

In den sechziger Jahren zieht die sozialistische Konfektion an den Hausvogteiplatz. Es entstehen Verwaltungräume und Büros für Textilgroßhandelsbetriebe. Allein im „Haus am Bullenwinkel“ wird noch Mode hergestellt, „exquisit“ fertigt hier ab 1970 Modelle. Das war die hochwertigste und modischste Kleidung der DDR, die ausschließlich in Spezialläden verkauft wurde. Margot Honecker, DDR-Ministerin für Volksbildung, war die letzte Prominente, die am Hausvogteiplatz eingekleidet wurde.

Mit dem Ende der DDR gibt es nun keine Mode mehr im ersten Konfektionsviertel der Welt. Aber nicht nur in Ostberlin, sondern auch im Westteil Berlins ist es mit der Herstellung von Konfektion nicht mehr weit her. Hochwertige Damenmode wird ausreichend in Westdeutschland und im Ausland produziert. Zwar hatten sich die ehemaligen DDR-Textilgroßhandelsfirmen nach der Wende noch ein neues Konfektionszentrum am Hausvogteiplatz erhofft, doch deutsche wie auch ausländische Modefirmen zeigten zuwenig Interesse am alten Konfektionsviertel Berlins. Gebaut wird nun, doch nicht für die Mode. Banken haben die alten Modehäuser gekauft. Aus dem Platz der Mode wird ein Platz der grauen Anzüge und Aktentaschen werden.