"Angst" im Revier

■ Ein Fernsehspiel von Bernd Schadewald, 22.10 Uhr, ZDF

Die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben selbst. Das gilt nicht nur für putzige Kinderanekdötchen, sondern auch für handfeste Kriminalstoffe. Ein Umstand, den sich Bernd Schadewald schon bei seinem famosen Fernsehspiel „Der Hammermörder“ zunutze machte, in dem er einen authentischen Fall aufgriff.

Für „Angst“ hat er jetzt wieder so einen Stoff ausgegraben, der freilich förmlich nach einer Verfilmung schrie: den Arnsberger Prozeß aus dem Jahre 1990. Damals saß man in dem beschaulichen Provinzstädtchen über eine veritable Familientragödie zu Gericht. Zwei Frauen und ein Mann waren des Mordes angeklagt. Gemeinsam hatten sie in einem Akt der Verzweiflung den Ehemann der einen, resp. Vater der anderen Angeklagten erschossen, als dieser nach Verbüßung einer Haftstafe wegen sexuellen Mißbrauchs der eigenen Tochter aus dem Knast entlassen wurde. Der dritte im Bunde war der Freund der Tochter.

Schadewald und sein versierter Co-Autor Fred Breinersdorfer üben sich bei ihrer Adaption des Falles löblicherweise erst gar nicht in jener kaum erträglichen Hobby- Psychologie mit Betroffenheitsmotivation, sondern versuchen, aus dem Stoff einen packenden Thriller zu stricken. Nicht zuletzt wegen einer Darstellerriege, die fraglos zum Besten gehört, was das deutsche Fernsehen derzeit zu bieten hat: Christian Redl als Vater, Renate Krößner als Ehefrau, Antje Westermann (eine bemerkenswerte Neuentdeckung) als Tochter und Jürgen Vogel als deren Freund. Darüber hinaus in Nebenrollen: Ulrike Kriener und Günter Lamprecht.

Doch gerade weil an diesem Fernsehspiel manch Löbliches ist, fallen die erstaunlichen Schnitzer, die sich Schadewald hier leistet, um so mehr ins Gewicht. Da kommt der Täter so dick als Bilderbuchprolet (vorwiegend in Trainingshosen, Schiesser-Feinripp und Bierflasche zur Hand) und veritables Monster daher, daß die Figur geradewegs ins Karikaturfach umkippt. Darüber hinaus hat Schadewald die ganze Geschichte aus dem lieblichen Sauerland ins rauhe Ruhrgebiet verfrachtet (wogegen im Prinzip nichts zu sagen wäre), aber dabei auch wirklich kaum ein Klischee ausgelassen: Wenn die Frau das Fenster öffnet, fällt der Blick auf nichts als Dreck und qualmende Schlote. (Merke: Unter solchen Bedingungen kommt ein Hilfsarbeiter um Kindesmißbrauch kaum herum.) Und wenn die Tatwaffe beschafft wird, geschieht das natürlich in einer schmuddeligen Spelunke, wobei sich im Hintergrund auch noch eine Stripteasemutti aus ihrem Fummel pellt.

Mit solchen Albernheiten mag man dröge „Derrick“-Folgen aufpeppen, wenn Harry Klein mal wieder im Milieu rumschnüffelt, bei einem ambitionierten Fernsehspiel wie „Angst“ sind sie jedoch nur ärgerlich, weil völlig unnötig. Und daß Hausfrauen im Kohlenpott vorwiegend in Strapsen herumlaufen, glaubt auch nur noch Beate Uhse. Reinhard Lüke