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Ein Gruß von draußen

■ Ein Brief des Schriftstellers Erich Loest an Taslima Nasrin

Einmal saß ich monatelang in Einzelhaft. Manchmal morgens, manchmal mittags lief eine Häftlingsgruppe an meiner Tür vorbei zur Arbeit ab. Ein Kumpel, der herausgefunden hatte, in welcher Zelle ich lag, sagte im Vorbeigehen: „Erich!“, halblaut, gut zu verstehen. Als Antwort schlug ich mit der flachen Hand an die Tür. Ein Gruß von draußen hatte mich erreicht. Ein andermal hörte ich über Umwege, in der Bundesrepublik hätten Literaten gegen meine Verhaftung protestiert, Carola Stern, Ilse Spittmann, Gerhard Zwerenz. Auf einem PEN-Kongreß in Hamburg fragte Reich-Ranicki seine Kollegen aus der DDR nach Harich und Loest und was für ihre Freilassung unternommen würde. Das ließ mich dann wieder eine Weile freier atmen hinter den Mauern von Bautzen II.

So hoffe ich, Taslima Nasrin erfährt, daß sich Schriftsteller aus Deutschland für ihr Werk und die Freiheit des Schreibens und für ihre persönliche Freiheit einsetzen. Wenn wieder einmal Zehntausende Demonstranten – alles Männer – vor ihrem Fenster schreien: „Hängt sie auf!“, dann gibt ihr vielleicht das Wissen neue Kraft, daß in vielen Ländern der Welt ihr Name zum Symbol geworden ist.

Ich hoffe zum zweiten, die Politiker meines Staates werden in Bangladesch vorstellig. Als neulich Li Peng die Bundesrepublik besuchte und sich unter anderem im Hause Goethes flegelhaft benahm, erzürnte das unsere Staatsmänner weniger als die Proteste deutscher Bürger gegen einen Besucher, der in Peking seine Panzerrudel gegen demonstrierende Studenten losgelassen hatte. Ein gerade Gewählter rügte die Demonstranten sogar, so gehe man mit einem Staatsgast nicht um. Doch, Herr Bundespräsident, man geht! Er und die Regierung hätten, in ihrer Etikettenklemme steckend, den freimütigen Bürgern dankbar sein sollen.

Zum dritten gebe ich die Hoffnung nicht auf, immerwährender Protest von Tausenden wird auch in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, seinen Eindruck nicht verfehlen. Dort regiert eine Frau, sie heißt Khaleda Zia. Ihr hat ein Diplomat der Schweiz klargemacht, daß seine Regierung „sehr genau und mit großer Besorgnis“ das weitere Schicksal von Taslima Nasrin verfolgt. Das tun auch deutsche Schriftsteller. Herr Kinkel, für Sie besteht Handlungsbedarf!

Alle guten Wünsche

Erich Loest

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