■ Wie können angesichts der rasanten Aufrüstung im asiatisch-pazifischen Raum neue Kriege verhindert werden? In Thailand tagt heute erstmals das neu gegründete Asean-Regionalforum zum Thema regionale Sicherheitspolitik
: Unruhe im Südchinesischen Meer

Berlin (taz) – Thailands Außenminister Chuan Leekpai eröffnete das diesjährige Treffen mit seinen südostasiatischen Amtskollegen von der Asean mit einer deutlichen Warnung: Die Rivalitäten in der Region bei gleichzeitiger rasanter Aufrüstung der nationalen Armeen könnten eine explosive Situation schaffen, sagte er am vergangenen Freitag. Mit Blick auf das Südchinesische Meer forderte Chuan: „Es ist dringend an der Zeit, eine bewaffnete Konfrontation wegen einer solchen Rivalität zu verhindern.“

Wie dies geschehen kann, soll das von der Association of Southeast Asian Nations ins Leben gerufene Asean-Regionalforum erörtern, das heute in Bangkok zum ersten Mal tagt. Neben den Vertretern der sechs Asean-Mitglieder (Thailand, Malaysia, Brunei, Indonesien, Singapur und die Philippinen) nehmen unter anderem auch die USA, Japan, China und Rußland teil. Die Anwesenden werden sehr genau wissen, wovon sie sprechen: schließlich gilt der asiatisch- pazifische Raum nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes als einer der größten Waffenmärkte der Welt. Rußland – dessen Außenminister Andrej Kosyrew am Samstag vorgeschlagen hatte, den internationalen Handel mit Kriegsgerät schärferen Kontrollen zu unterwerfen – hat sich in den letzten Jahren als Anbieter preiswerter Waffen in der Region hervorgetan. Zu seinen Hauptabnehmern gehören China, das selbst Kunden für seine Raketen sucht, und Malaysia.

Als erster Schritt auf dem Weg zu einer verbesserten Kommunikation soll unter anderem eine regionale Dokumentationseinrichtung für Waffenkäufe und -transfers gegründet und ein gemeinsames Zentrum für die Koordination der Ausbildung für Blauhelmeinsätze geschaffen werden.

Nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Zerfall der Sowjetunion und teilweisen Rückzug der USA steht die Region vor einer Neubestimmung der Kräfteverhältnisse in Ost- und Südostasien: Der wachsende Einfluß des wirtschaftlich dominierenden Japan wird von seinen Nachbarn mit großem Mißtrauen betrachtet. Der Wirtschaftsstreit zwischen Japan und den USA könnte sich eines Tages zu einem explosiven Konflikt entwickeln. Indien rüstet seine Marine auf. Auch China hat seine Seestreitkräfte verstärkt, sein Anspruch auf eine bestimmende Rolle in der Region wird von den Mitgliedern der Asean unterschiedlich bewertet: Für Thailand, das ein Erstarken seines Nachbarlandes Vietnam befürchtet, kann China als wirksames Gegengewicht fungieren. Indonesien wiederum würde dem wachsenden chinesischen Einfluß gern einen vietnamesischen Riegel vorschieben. So wird es wohl noch dauern, bis sich die Asean-Staaten darauf verständigen, Vietnam formell zum Beitritt einzuladen, denn die Gemeinschaft funktioniert nach dem Konsensprinzip.

Gegründet wurde die Asean 1967, in einer Zeit, da der zweite Indochinakrieg eskalierte und es auch in – oder zwischen – den anderen Staaten der Region knisterte: zwischen Indonesien und Malaysia hatte es bewaffnete Grenzkonflikte gegeben; der Stadtstaat Singapur hatte sich 1963 mit Malaysia vereint und schon zwei Jahre später wieder getrennt. In Malaysia ebenso wie in Thailand sahen sich die etablierten Eliten mit wachsender Opposition und teilweise bewaffnetem Widerstand konfrontiert. Daß die führenden Kader der Widerstandsbewegungen chinesischer Abstammung waren, verstärkte die ohnehin vorhandenen Aggressionen gegen Überseechinesen. Die Regierungen verkündeten, hinter allem Übel steckten Chinesen als fünfte Kolonne der Volksrepublik China, wo Marschall Lin Biao zum Kampf der „Weltdörfer gegen die Weltstädte“ aufgerufen hatte.

Der Vietnamkrieg und die Präsenz der USA in der Region sorgten jedoch zunächst dafür, daß die südostasiatischen Regierungen sich unter der militärischen Protektion durch die Amerikaner einrichteten. Erst mit dem Schock über den Sieg der Roten Khmer in Kambodscha, dem Fall Saigons und dem Rückzug der USA sahen die südostasiatischen Regierungen wieder die Notwendigkeit, der Asean Leben einzuhauchen. Im Februar 1976 kam es erstmals zu einem Gipfeltreffen, bei dem ein Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit unterzeichnet und ein kleines gemeinsames Sekretariat in Indonesiens Hauptstadt Jakarta eingerichtet wurde.

Bald stellte sich heraus, daß die Periode der Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha und der Besatzung durch vietnamesische Truppen ab Ende 1978 zwar eine Tragödie für die Bevölkerung des Landes sein sollte – aber ein „Glücksfall“ für die umliegenden Staaten und vor allem ihre Regierungen. Denn solange China bereit war, die Roten Khmer um jeden Preis in ihrem Kampf gegen die Vietnamesen zu unterstützen, und solange Vietnam den andauernden Guerillakampf der Roten Khmer als Legitimation für ihre Besatzung nutzte, konnte sich die Asean als Bollwerk der Freiheit profilieren. Ihre Mitglieder erhielten großzügige Militärhilfe vom Westen und vielfältige ökonomische Unterstützung. Die chinesische Führung mußte nach dem Massaker von 1989 nicht lange unter internationaler Isolierung leiden: Ihre Zustimmung im Weltsicherheitsrat war nötig für den Krieg gegen den Irak und die UNO-Mission in Kambodscha.

Zwar ist in Kambodscha nicht der erhoffte Friede eingekehrt. Doch solange die brüchige Regierungskoalition hält und die Auseinandersetzungen nicht auf die Nachbarländer übergreifen, wird das Land in den Hintergrund gerückt bleiben.

Jetzt richtet sich die Aufmerksamkeit auf eine andere Entwicklung: Es mehren sich die Befürchtungen – wie die eingangs zitierte Warnung des thailändischen Außenministers zeigt – vor einer Eskalation des Konflikts über Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. Seit Mitte der siebziger Jahre hat es mehrfach Gefechte zwischen China und Vietnam um die Spratly-Inseln gegeben. Sechs Staaten der Region beanspruchen die Inseln ganz oder teilweise.

Mitte 1992 hatten sich die Asean-Staaten ebenso wie die Volksrepublik China darauf geeinigt, die Ressourcen, vor allem Öl, in diesem Gebiet gemeinsam zu nutzen. Die VR China stimmte der Erklärung von Manila vom Juli 1992 zu, die eine friedliche Beilegung von Streitigkeiten im Südchinesischen Meer forderte. Das hinderte die VR China nicht daran, bald darauf ihren Anspruch auf die Inseln erneut zu bekräftigen. Claus Graf/li