Scheitert Rot-Grün, verliert die PDS

Nach Sachsen-Anhalt muß die PDS ihre Strategie neu formulieren / Am Samstag traf sich die Partei in Berlin / Ihr Dilemma: Sie will Einfluß ausüben, ohne ihre Identität zu verlieren  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Veränderung, da war man sich bei der PDS bislang einig, beginnt mit Opposition. Allein, was folgt, wenn dieser Anfang gemacht ist? Die neue Rolle, die der Partei des demokratischen Sozialismus seit der Wahl des Sozialdemokraten Reinhard Höppner zum sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten zugefallen ist, ist nicht nur parteiinterner Anlaß zur Freude, sondern bereitet den Strategen auch einiges Kopfzerbrechen. Sechs Wochen nach dem Wahltag lud die PDS am Samstag parteiintern zu einer ersten größeren Runde, um die strategischen Konsequenzen der neuen Lage zu analysieren. Seitdem in Magdeburg die SPD die PDS zur Mehrheitsbeschafferin ihrer Minderheitsregierung befördert hat und damit gleichermaßen SPD-Gründergeneration wie CDU aufbrachte, dominiert bei den demokratischen Sozialisten das Gefühl des „wir sind wieder wer“. Harald Wolf, der für die PDS im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, faßte es am Samstag in analytisch korrekte Worte: „Die Marginalisierung der PDS ist aufgebrochen.“ Und diese Binnenwirkung verlangt nach Steigerung. Die Bedeutung der Partei soll zunehmen, und, so die einhellige Einschätzung, die Partei kann zulegen. „Das Neue“, so erklärte das Vorstandsmitglied des sachsen-anhaltinischen Landesverbandes, Thomas Drzisga, „ist das Signal, der Impuls, der volle Wirkung zeigt, wenn sich die Konstellationen bei den Wahlen in den anderen Bundesländern wiederholen.“ – „Regierungsbildungen nach traditionell bundesrepublikanischem Muster sind nicht mehr möglich“, frohlockte sein Berliner Vorstandskollege Thomas Nord. „Nach Sachsen-Anhalt“, präzisierte das Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Gehrke, „sind Mehrheiten diesseits der Union vorhanden.“

Diese Mehrheit bereitet der PDS jedoch Probleme. Denn allen CDU-Menetekeln zum Trotz ist sie weit davon entfernt, mit der SPD und den Bündnisgrünen eine „Linksfront“ zu bilden. Jede Form von Einbindung bringt die Partei in ein Dilemma, sie führt, so Wolf, „zu einer Differenzierung unseres Wählerpotentials“. Die PDS, so der stellvertretende Landesvorsitzende Brandenburgs, Heinz Vietze, sei „ausschließlich für die Opposition gedacht“. Die veränderte Rolle bringe die PDS in „Denk- und Handlungszwänge“. Mancher sieht gar in der langjährigen Regierungserfahrung der Vorläuferpartei einen triftigen Grund, vorerst keine allzugroße Nähe zur Macht zu suchen.

Das Navigieren zwischen der Skylla des gewünschten politischen Einflusses und der Charybdis des damit einhergehenden vermeintlichen Identitätsverlustes ist Wolf bekannt. Er hat, bevor er zur PDS ging, 1989 für die seinerzeitige Berliner Alternative Liste an den Koalitionsverhandlungen mit der SPD teilgenommen. „Einbinden in die Verantwortung“ sei die Strategie der Sozialdemokraten damals gegenüber den Grünen gewesen und so laute sie nun gegenüber der PDS. Deshalb sei es völlig richtig gewesen, daß die PDS in Magdeburg ihr ursprüngliches Tolerierungsangebot an die SPD zurückgezogen habe. Denn jede Tolerierungs- oder Koalitonsvereinbarung sei ein „Stillhalteabkommen“, man verpflichte sich um einiger partieller Vorteile willen, jede Menge „Kröten“ zu schlucken. Deshalb plädiert Wolf dafür, Unabhängigkeit zu bewahren. Daß Höppner gleichfalls aus parteitaktischen Erwägungen gar kein Interesse an einer Tolerierung gezeigt hatte, erscheint dabei als glückliche Fügung der Geschichte. Auch Vietze will, sollte es nach den brandenburgischen Wahlen Anfang September zu ähnlichen Mehrheitskonstellationen kommen, Versuchen der SPD, „uns die Basis zu entziehen“, widerstehen. Dieser könne man keine Tolerierung zusagen, wenn man nicht wisse, was hernach geschieht. Vietze fürchtet bereits, daß „aus wahltaktischen Erwägungen der inhaltliche Anspruch verdrängt wird“. Deshalb soll bei einer rot- grünen Minderheitsregierung auch der Haushalt zur Disposition stehen.

Eine solche grundsätzliche Opposition würde die PDS allerdings bei den dann zu erwartenden Neuwahlen in die Rolle des unsicheren Kantonisten bringen. Dann macht, so Wolfs Einschätzung, Stolpe eine Kampagne und die befürchtete Differenzierung des PDS-Wählerpotentials würde eintreten. Folglich könne die PDS „verlieren“, wenn sie einen Regierungshaushalt scheitern lasse.

Die Ablehnung eines Etats wäre allenfalls möglich, wenn es mit einem Konflikt verbunden sei, der dem Wähler politisch vermittelbar ist. Das sei das Dilemma, vor dem die PDS in den nächsten Monaten stehe. Vietze befürchtet bereits „keinen Grund, PDS zu wählen“, sollte diese aus Angst vor dem Vorwurf, eine SPD-Regierung gestützt zu haben, klein beigeben. Die Kompromißposition, die am Samstag ausgegeben wurde, lautete: „Wir stützen die Regierung, solange sie gegenüber einer rechten eine erkennbare Differenz zeigt.“ Sollte sich diese Haltung als PDS-Linie durchsetzen, könnte Höppner den Etatberatungen des Herbstes geruhsam entgegensehen.

Die PDS hat mit dem „Modell Minderheitsregierung“ ihr politisches Projekt gefunden, den Königsweg, der sie aus der parteipolitischen Isolierung herausführen soll, ohne das ostdeutsche Protestpotential, das sie an sich gebunden hat, zu enttäuschen. Wolf will, daß es „ein erfolgreiches Modell wird, weil nur so verhindert werden kann, daß der Druck auf die PDS zunimmt, sich in Regierungshandeln einzubinden“.

Manchem in der Partei geht jedoch die Rolle der „PDS als antikonservativer Blockademechanismus“, wie sie der Berliner Landesvorständler Marian Krüger klassifizierte, nicht weit genug. Der Landesvorsitzende von Mecklenburg- Vorpommern, Hans Scheringer, will sich nicht darauf beschränken, aus der Opposition heraus Widerstand zu leisten, sondern will auch Verantwortung tragen. In seinem Land ließe sich ein Tolerierungsmodell, ob vertraglich vereinbart oder nicht, auch kaum realisieren. Immerhin wählte dort zuletzt jeder vierte die PDS. Mit 25 Prozent, so die Devise des Bundesvorständlers Gehrke, toleriert man keine Partei, die 27 Prozent hat. Die Alternative für Mecklenburg-Vorpommern laute PDS/SPD-Koalition oder große Koalition.

Gehrke verspricht sich vom Modell Magdeburg einen bundesrepublikanischen Schub. Der könne die PDS am 16. Oktober über die Fünfprozenthürde befördern. Sie müßte nicht allein um drei Direktmandate bangen, was für ihr Selbstbewußtsein bedeutsam wäre. Sollte die Partei wieder im Bundestag vertreten sein, so empfiehlt Gehrke schon jetzt den Parlamentariern, „Scharping zu wählen, ohne Bedingungen“. Denn man stelle keine Bedingungen, die nicht eingehalten werden. Der PDS-Vorständler hält gar in Bonn ein Reformprogramm nach seinem Gusto für möglich; und „wenn ich das über Teilnahme an der Regierung umsetzen kann, werde ich mich nicht zumachen“. Da versteht zumindest Olaf Albrecht die postsozialistische Welt nicht mehr. Auf Bundesebene, so interpretierte der Stadtrat aus Berlin-Weißensee am Samstag die bisherige Parteilinie, müsse man doch einen höheren Anteil an fundamentaler Opposition betreiben. Denn „wenn ich demokratischen Sozialismus will, will ich soviel Sozialstaat wie möglich in diesem Kapitalismus“. Solchermaßen müsse man die Grenze des Systems deutlich machen. Doch die wollte in der Runde am Samstag augenscheinlich keiner überschreiten.