Die nächste Katastrophe verhindern

■ Die in dieser Woche anlaufende Hilfsaktion für die ruandischen Flüchtlinge im zairischen Goma ist für die US-Regierung die Voraussetzung für eine geordnete Rückkehr der Hunderttausende in ihre Heimat ...

Die in dieser Woche anlaufende Hilfsaktion für die ruandischen Flüchtlinge im zairischen Goma ist für die US-Regierung die Voraussetzung für eine geordnete Rückkehr der Hunderttausende in ihre Heimat – der Schlüssel zur Lösung der Krise.

Die nächste Katastrophe verhindern

Nach den Franzosen kommen die Amerikaner. Mehr als 4.000 US-amerikanische Soldaten „könnten“, so die offizielle Sprachregelung, über mehrere Monate hinweg in und um Goma stationiert bleiben, um bei der Durchführung einer beispiellosen Luftbrückenaktion für Hunderttausende ruandische Flüchtlinge zu helfen. Aus Entebbe in Uganda sollen ab diese Woche ununterbrochene Hilfsflüge Richtung Goma starten. Der Flughafen der zairischen Kleinstadt soll so ausgebaut werden, daß er 24 Stunden am Tag nutzbar ist. Drei Flugzeuge sollen fünfmal täglich insgesamt 100 Tonnen abwerfen. US-Militärstützpunkte weltweit stellen Wasseraufbereitungsanlagen zur Verfügung. Und nicht nur werden Soldaten die Hilfsgüter nach Goma bringen – sie sollen sie auch verteilen.

Es wird, so sagt US-Verteidigungsminister William Perry, die komplizierteste humanitäre Aktion, die das US-Militär jemals durchgeführt hat. Auf der logistischen Ebene ist sie vergleichbar höchstens mit der blitzschnellen Truppenstationierung in Saudi- Arabien 1990 vor dem Golfkrieg gegen den Irak. Der designierte Kommandeur Jack Nix war damals dabei, wie bereits in Panama 1989 und Grenada 1983. Ein Zeichen, daß es um mehr gehen könnte als um Hilfe?

US-Sicherheitsberater Anthony Lake hat kategorisch bestritten, daß die US-Truppen eine „friedenssichernde“ Rolle spielen könnten. Gleichzeitig wird aber auch gesagt, daß natürlich die Hilfslieferungen „gesichert“ werden müssen. Das Ziel der Operation skizziert US-Präsident Bill Clinton so: „Unsere Aufgabe in Ruanda ist zweierlei: erstens, das Leiden so schnell wie möglich zu lindern; zweitens, Schritte hin zu Bedingungen zu unternehmen, die eine Heimkehr der Flüchtlinge ermöglichen.“ Deutlicher noch Verteidigungsminister William Perry: „Wir wollen sie nach Ruanda zurückkehren sehen, damit sie ihre Felder bestellen und ernten, so daß es nach der gegenwärtigen kurzfristigen Krise nicht zu einer langfristigen Katastrophe kommt.“

Das heißt: Die Rückkehr der Flüchtlinge wird als Schlüssel zur Lösung der gesamten Krise gesehen, und dafür wollen die USA auch in Ruanda selbst mitreden können. Logisch wäre es in diesem Kontext, wenn die neue Regierung Ruandas, die die siegreiche Guerillabewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) letzte Woche vorstellte, auch international anerkannt würde, damit Wiederaufbau- und Reintegrationsmaßnahmen international koordiniert werden könnten. Die USA haben zwar die frühere ruandische Regierung diplomatisch ab-, die neue aber noch nicht anerkannt. Das ist auch der Grund, weshalb die amerikanische Goma-Hilfe über Uganda gesteuert wird und nicht einfach über Ruanda selbst.

Die Zeit für eine Klärung drängt. Ruandas Regierung will ihre Bürger wiederhaben, und schon jetzt wollen immer mehr Flüchtlinge angesichts der Lage in Zaire nach Ruanda zurückkehren. Die Angst vor dem Cholera-Tod überwiegt das Mißtrauen gegen die neue Regierung. In Gesprächen zwischen der neuen Regierung und der UNO sowie zwischen UNO und USA scheint es offenbar zu einer Einigung gekommen zu sein, daß die 5.500köpfige UNO-Truppe, die laut einer Sicherheitsrats-Resolution irgendwann in Ruanda stationiert werden soll, als ihre erste Aufgabe die geordnete Rückführung der Flüchtlinge bekommen soll – damit diese sich, umgeben von Blauhelmen, sicherer fühlen.

Offen bleibt allerdings auch bei einer Rückkehr der meisten Flüchtlinge unter UNO-Kontrolle, was mit den Zehntausenden aktiven Anhängern des alten Regimes passiert, die sich zusammen mit den Zivilisten nach Zaire abgesetzt haben (siehe unten), an eine Rückkehr nicht denken und daher im US-Stationierungsgebiet verbleiben werden. Eigentlich müßten sie, folgt man den UNO-Resolutionen, verhaftet und vor Gericht gestellt werden.

Ob US-Soldaten dies tun? Das könnte später einmal zur Feuerprobe werden. Bislang heben sich die geplanten US-Aktivitäten deutlich ab von der in Nutzlosigkeit versandeten französischen Intervention im Südwesten Ruandas, mit der sich Paris zwischen alle ruandischen Stühle gesetzt hat. Washington hat eine Chance, sich als effektiverer Partner Ruandas zu beweisen und damit der französischen Sonderrolle in Afrika einen Schlag zu versetzen.

Aber um diese Chance zu nutzen, reicht eine rein humanitäre und später vielleicht in politische Verlegenheiten geratende Militärmission nicht aus – genausowenig wie 1992 in Somalia. US-Präsident Clinton ist sich bewußt, daß es hier um die amerikanische Führungsrolle geht: „Viele afrikanische Nationen tun, was sie können, und wenn sie versuchen, etwas zu tun, was sie nicht können, müssen wir ihnen helfen“, sagte er am Wochenende. Es gehe darum, „was wir als Amerikaner, als Weltbürger, tun können“, meinte er. „Die Welt hat ihre Augen auf Ruanda gerichtet.“ Dominic Johnson