Sie dürfen wieder marschieren

Vor einem Jahr marschierten Neofaschisten durch Fuldas Innenstadt und zeigten Flagge / Jetzt stellte die Staatsanwaltschaft sämtliche Ermittlungen gegen die Rädelsführer ein  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – In Deutschland dürfen wieder Neofaschisten durch Städte marschieren, die „Reichskriegsflagge“ und den sogenannten Hitlergruß zeigen, SS-Runen an ihren Mützen tragen und ausländerfeindliche Parolen rufen, ohne daß eine deutsche Behörde Anklage erhebt. Die Staatsanwaltschaft in der hessischen Domstadt Fulda gab gestern die Einstellung aller Ermittlungsverfahren gegen Organisatoren, Mitläufer und bereitwillige Helfer aus den Reihen der Polizei und der Kommunalpolitik der „spontanen“ (so die Polizei) Rudolf-Heß- Gedächtnisdemonstration von rund 500 Alt- und Neonazis am 14. August 1993 bekannt. Angeblich, so der „ermittelnde“ Staatsanwalt Richard Dietz, sei keinem der aufgrund von 14 Strafanzeigen mit einem Ermittlungsverfahren überzogenen Peronen eine strafbare Handlung nachzuweisen gewesen. Das gelte auch für den damals für alle Beobachter der makabren Veranstaltung als Rädelsführer aufgetretenen Landesvorsitzenden der FAP-Niedersachsen, Thorsten Heise (25).

Weil sich Heise – nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – mit sieben weiteren Führern der Rechten die „Aufgaben geteilt“ habe, so Dietz, könne der Mann nicht angeklagt werden. Heise hatte mit der Polizeiführung den „geordneten Rückzug“ der rund 500 Hitler/Heß-Fans ausgehandelt – nach einer Kundgebung der Neonazis auf dem Domplatz und einer Demonstration durch die Innenstadt, während der die Polizei den Verkehr regelte. Daß die Anmelder der angeblich spontanen Demonstration bei der Stadt Fulda ihren Meldezettel mit „deutschem Gruß“ unterschrieben, war für die Staatsanwaltschaft auch kein Grund für eine Anklageerhebung. Schließlich sei diese Grußform „nicht öffentlich geäußert“ worden, sondern nur schriftlich im nichtöffentlichen Ordnungsamt.

„Erbärmlich“ und einen „Skandal“ nannte der Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Hertle, dieses „Ermittlungsergebnis“ der Staatsanwaltschaft. Die Einstellung aller Ermittlungsverfahren sei nachgerade eine Ermunterung für die rechtsradikale Szene, mit solchen Aufmärschen weiterzumachen. Knapp ein Jahr nach der Blamage von Fulda und am Tag nach der neonazistischen Provokation in Buchenwald habe die Staatsanwaltschaft „in unerträglicher Weise Kontinuität demonstriert“ – „die Kontinuität des Versagens“. Hertle räumte ein, daß es ein Fehler gewesen sei, seinerzeit nicht auf der Einschaltung des hessischen Generalstaatsanwaltes zu bestehen, sondern das Ermittlungsverfahren der Fuldaer Provinz-Staatsanwaltschaft zu überlassen.