Harte Konflikte auf Berliner Baustellen

Viele Baufirmen feuern die Arbeiter während der Probezeit und zahlen Niedriglöhne an ausländische Arbeiter / Arbeiter beklagen das zunehmende Bautempo seit der Vereinigung  ■ Von Helmut Höge

„Mit der Vereinigung ist wieder Klassenkampf in Deutschland möglich geworden“, meint Heiner Müller. Zumindests im boomenden Baugewerbe artikulieren sich die „Tarifpartner“ zunehmend unmißverständlicher. Auf dem Gelände des Babelsberger Lokomotiv-Werks, das die Düsseldorfer Developer „Gewerbe im Park“ (GIP) gerade verdienstleistungscentern, hat das „Zentrum für Aus- und Weiterbildung“ (ZAW) seinen Sitz. Hier veranstaltet ihr Geschäftsführer Professor Thiede neuerdings „Unternehmertreffs“.

Beim letzten Mal waren zehn kleinere Unternehmer aus dem Bauhaupt- und Nebengewerbe erschienen. Sie beklagten, daß ihre Mitarbeiter zwar wie die Westberliner „Höchstlöhne“ fordern, aber nicht die entsprechende Arbeitsleistung erbringen wollen: „Manchem meiner Leute fehlt einfach die Erkenntnis, daß der Lohn erst erarbeitet werden muß, ehe er gezahlt werden kann“, so der Geschäftsführer einer Ausbau- und Sanierungs- Firma, der damit begründete, warum man sich von vielen Mitarbeitern noch während der Probezeit wieder trennen müsse. Daß für viele das Arbeitsamt die Probezeit bezuschußt und die Firmen bei rechtzeitiger Entlassung damit immer wieder an neue Lohnzuschüsse herankommen, erwähnte er nicht. Wohl aber, daß auch bei den Bauhilfskräften deutlich zu spüren sei, wer zur Arbeit motiviert sei und wer nur rasch „die große Kohle“ machen wolle.

Der Brutto-Tariflohn sieht für die Hilfsarbeiter 15,67 Mark plus 92 Pfennig Bauzuschlag vor, im übrigen gibt es schon seit geraumer Zeit keine Bau-Lohnunterschiede zwischen Berlin und Brandenburg mehr. Allerdings werden hier wie dort, zumindest von größeren Bauindustriebetrieben, zunehmend billige süd- und osteuropäische Arbeitskräfte eingesetzt: Portugiesen, Sizilianer und Südspanier bekommen zwischen 6 und 10 Mark Stundenlohn, Engländer bis zu 15 Mark und Russen, Ukrainer, Polen nicht selten unter 5 Mark. Solchen „Lohndrückern“ gegenüber sind deutsche Bauarbeiter schon mehrfach, zumindest in Berlin, ausfällig geworden. Einmal soll dabei ein Pole mit heißem Teer übergossen worden sein. Die in Berlin „Sklavenhändler“ genannten Zeitarbeitsfirmen zahlen für Bauhelfer legal oftmals auch nur 10,50 Mark pro Stunde. „Es fehlt eine Entscheidungsrichtlinie zum Schutz heimischer Löhne, die klemmt noch in Brüssel“, sagt der Landesvorsitzende der IG Bau Steine Erden, Klaus Pankau. Auf dem Babelsberger „Unternehmertreff“ meinte dagegen jemand: Es müßte doch für viele der Mitarbeiter geradezu beschämend sein, daß legal beschäftigte ausländische Arbeitskräfte volle Leistung bringen würden: „Oft stecken die Ausländer mit ihrer positiven Arbeitsmoral ihre deutschen Kollegen noch an“, so ein Bauunternehmer. Ein anderer klagte: „Kaum einer, der sich bei uns bewirbt, will sich mit dem Unternehmen identifizieren. Oft sind sie fachlich ungeeignet und kommen mit falschen Vorstellungen.“

Auf den Baustellen selbst hört man andere Töne: Zum einen beklagen sich die Arbeiter dort über das zunehmende „Bautempo“, das die Unfallgefahr erhöht, „gerade bei der momentanen Hitzewelle“, zum anderen schimpfen sie über die Subunternehmen, die immer mehr billig entlohnte „Ausländer anschleppen“. Mehrmals kam es unterdessen auch schon zu spektakulären Aktionen, weil Bauunternehmen ihren Arbeitern keinen Lohn zahlten: Auf einer Pankower Baustelle kletterten im Mai 15 Italiener auf die Kräne und drohten damit, sich herunterzustürzen. Dem italienischen Konsul gelang es, erfolgreich zu vermitteln. Kurze Zeit später blockierten britische und irische Bauleute, die als Ein- Mann-Subunternehmen von der holländischen Firma Axlebridge angestellt waren, eine Baustelle in Tempelhof. Nach Verhandlungen mit dem Generalübernehmer, Olympia Bau GmbH, bekamen 13 Arbeiter noch am selben Tag 500 Mark Abschlagszahlung.

Zuletzt, sinnigerweise kurz vor dem 17. Juni, dem Tag des Bauarbeiteraufstands, traten auch einige deutsche Arbeiter auf einer Großbaustelle in der Marzahner Havemannstraße in den Ausstand. Sie besetzten ebenfalls die Kräne und verfaßten ein zweiseitiges Flugblatt: „An alle – Wir haben die Schnauze voll!“ Dieser Text, unterschrieben mit „IG BSE – InitiativGruppe BauSchweine Erledigen!“, gefiel der an sich mit ihrer Aktion solidarischen Baugewerkschaft nicht sonderlich. Der Zorn der Bauarbeiter richtete sich primär gegen ihr eigenes Unternehmen, die aus Trier nach Großbeeren übergesiedelte Baufirma Pape, die, größenwahnsinnig geworden, einige weitere Baufirmen im Umland aufgekauft hatte und dann keine Löhne mehr zahlen konnte. Bauunternehmer Pape machte sich nach der Kranbesetzung aus dem Staub.

Der Generalübernehmer in der Havemannstraße, die Firma Heitkamp, requirierte daraufhin seine Geräte und zahlte den Arbeitern die noch ausstehenden Löhne aus. In ihrem Flugblatt hatten diese jedoch auch die generelle Misere auf den Baustellen thematisiert: „Die Unterscheidung in Gelernte und Ungelernte, in Stammbelegschaften von Großunternehmen, die Tariflohn erhalten, und Leute, die für Sub-Subs unter Tarif malochen, sowie der Rassismus gegen MigrantInnen kommen den Unternehmen gerade recht. Denn die Unterscheidungen sollen verhindern, daß alle gemeinsam ihre Forderungen durchsetzen. Insgesamt hat es seit der Wende mehr Streß, Unfälle und Tote gegeben. Im letzten Jahr starben allein auf Berliner Baustellen 18 Kollegen.“

Einige der jetzt arbeitslosen Flugblatt- Autoren wollen eine „Anlaufstelle für betroffene Bauarbeiter“ gründen: „Weitere Aktionen wie die an der Havemannstraße sind nicht ausgeschlossen“, sagt einer – „wenn richtig nachgehakt wird, findet man auf jeder zweiten Baustelle irgendeine Sauerei!“ Jede Baustelle sei eine Hoffnungsstelle, meinte dagegen unlängst die CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien. Die Pape-geschädigten Bauarbeiter befürchten, daß mit den steigenden Überkapazitäten auf dem Berliner Gewerbeimmobilienmarkt noch so mancher „kleine Schneider die Grätsche machen wird – in den nächsten Monaten: Die Zeiten werden hart!“