Press-Schlag
: Wilder Rap, wilder Blick

■ Super-Sprint bei den Goodwill Games

Auch ohne den verletzten Olympiasieger Linford Christie wurde eines der teuersten Rennen aller Zeiten als „Sprint des Jahres“ angekündigt. 400.000 Dollar soll der 100-Meter-Lauf im Petrowsky-Stadion gekostet haben. In St. Petersburg ist Carl Lewis (33) immer noch eine Nummer und auch Leroy Burrell, Lewis' Kronprinz im Santa Monica Track Club, der vor drei Wochen in Lausannne 9,85 Sekunden über 100 Meter lief und damit dem Altmeister den Weltrekord abjagte. Bei den Goodwill Games vor vier Jahren in Seattle gewann Burrell erstmals gegen Carl den Großen. Lewis wiederum hatte bei den ersten Spielen des Guten Willens in Moskau gegen den kanadischen Hobby-Apotheker Ben Johnson verloren. Mithin war es seine letzte Chance, Sprintchampion bei Turners Privat-Olympiade zu werden. Wie aufregend! Genauso wurde das Duell der Giganten von Turners Haussender TBS verkauft. Lewis allein, wurde kolportiert, erhielt für seinen Auftritt an der Newa die Wahnsinnssumme von 200.000 Dollar.

Ein Kleintransporter voller Rubel, etwa 400 Millionen, haben Lewis wohl reicher, aber erwartungsgemäß nicht schneller gemacht. 10,23 Sekunden sind zwar bei 1,9 m/s Gegenwind durchaus respektabel, doch damit landete Lewis nur auf Rang vier hinter seinen Landsmännern John Drummond, Leroy Burrell und Dennis Mitchell, dem Triumphator des Abends. Mit wildem Rap und Urwaldschreien hatte sich Mitchell für das Duell mit Lewis & Co. auf dem Einlaufplatz erwärmt. Im giftgrünen Einteiler schleuderte er anschließend auf der Bahn wilde Blicke in Richtung der ungeliebten Stars vom Santa Monica Track Club, und nach seiner 10,07 Sekunden währenden Show hat er Lewis und Burrell nur noch ein überlegenes Lächeln geschenkt.

Während sich Mitchell, derzeit Inhaber des schnellsten und beständigsten Muskel-Turbos der Welt, auf seiner Ehrenrunde verzweifelt bemühte, einer spärlichen Kulisse Bravo-Rufe zu entlocken, saß auf der Pressetribüne Star-Coach John Smith und beobachtete seinen neuen Wundermann mit glänzenden Augen. Smith hat schon Steve Lewis, Danny Everett, Quincy Watts und Kevin Young zu Olympiasiegern gemacht. Wird Dennis Mitchell (28) in Atlanta der olympische Champion? „Ihr werdet euch noch wundern über den Mitchell“, prophezeit Dennis Mitchell. Wie immer doziert der Sprinter über sich in der dritten Person: „Der Mitchell, das weiß ich, kann noch viel schneller rennen.“

Für Carl Lewis dagegen scheint der Zug abgefahren. Vielleicht wird er 1996 zum vierten Mal Weitsprung-Olympiasieger, doch im Sprint war der Auftritt in St. Petersburg sein letzter großer Zahltag. Für Dennis Mitchell allerdings, bisher mit 10.000 Dollar Startgage eingestuft, könnte es der Beginn von goldigen Zeiten gewesen sein. Jens Weinreich