■ Interview mit Micha Gaillard, Berater Präsident Aristides
: „Intervention nein, Blauhelme ja!“

Am Montag reichten die USA beim Sicherheitsrat der UN einen Resolutionsentwurf ein, der sie ermächtigen soll, in Haiti militärisch zu intervenieren. Eine Entscheidung des Sicherheitsrates wird bis Ende der Woche erwartet. In Haiti sprach die taz mit Micha Gaillard, Mitglied der Führung von „Conacom“, eines Bündnisses demokratischer Gruppierungen, das Mitglied der „Sozialistischen Internationale“ ist und für eine Rückkehr des gestürzten Präsidenten Aristide eintritt. Der Sozialdemokrat Gaillard ist auch Mitglied der Präsidialkommission Aristides und hat an allen Verhandlungen zwischen dem Putschistengeneral Cédras und dem gestürzten Präsidenten teilgenommen, die im letzten Juli im Pakt von Governor's Island mündeten. Der sah den Rücktritt von Cédras, eine Amnestierung der Militärs und die Rückkehr Aristides für vergangenen Oktober vor, wurde aber von den Militärs nicht eingehalten.

taz: Halten Sie eine militärische Intervention in Haiti, durchgeführt im wesentlichen von der US- Armee mit dem Segen der Vereinten Nationen, für wünschenswert?

Micha Gaillard: Nein. Es geht ja den Amerikanern nicht einfach darum, General Cédras und einige weitere seiner Kumpane loszuwerden, sondern darum, die Situation in Haiti zu kontrollieren. Und deshalb wird eine Intervention in Haiti sich nicht einfach in der Eroberung des militärischen Hauptquartiers und in der Kontrolle der Kasernen erschöpfen. Es wird Zerstörung und Tote geben. Letztlich wird eine Interventionstruppe zur repressiven Kraft auch gegen die Teile der Bevölkerung werden, die auf Aristide gesetzt haben, um in diesem Land endlich mal wirklich etwas zu verändern. Nein, ich bin gegen eine Intervention. Aber ich gebe zu, daß die Massen, die Aristide gewählt haben, eine Intervention herbeisehnen. Sie werden den US-Soldaten applaudieren.

Wie wollen Sie denn die Militärs dazu bringen, ihr Versprechen, das sie auf Governor's Island gaben, auch einzuhalten?

Wir brauchen nicht, wie Butros Butros Ghali in seiner Empfehlung an den Sicherheitsrat vom 15. Juli meint, 15.000 Soldaten, die in einer ersten Phase das Land faktisch besetzen, um dann in einer zweiten Phase das umzusetzen, was im Pakt von Governor's Island vom Juli 1993, der den Rücktritt von Cédras, eine Amnestie für die Militärs und die Rückkehr Aristides vorsah, ausgehandelt wurde: vor allem die Professionalisierung der Armee, die Schaffung einer neuen Polizei und die Durchführung der anstehenden Wahlen. Nein, wir brauchen nicht 15.000 GIs, sondern 1.200 Blauhelme, die ihr militärische, technische, administrative und wirtschaftliche Beratung und Hilfe bieten. Streichen wir also die ersten Phase und verwirklichen die zweite!

In Haiti selbst scheint aber niemand in der Lage zu sein, die Militärs zum Rücktritt zu zwingen, was ja wohl Voraussetzung zur Umsetzung dieser zweiten Phase wäre.

Die verschiedenen Sektoren der Gesellschaft müssen General Cédras klar signalisieren: „Sie haben den Pakt von Governor's Island unterschrieben. Also treten Sie zurück!“ Aus den USA müssen diese gleichen Signale ausgehen: Die Intervention kann vermieden werden, wenn General Cédras zurücktritt. Wenn er bleibt, wird er für die Intervention verantwortlich sein, und es wird eine Katastrophe werden.

Worauf gründet Ihr Optimismus in dessen Einsicht?

1989 sind wir den damaligen Militärmachthaber Prosper Avril losgeworden, weil wir eine Alternative hatten. Es gab einen breiten Konsens — von Pater Adrien, eine moralische Autorität, ein Mann, der Aristide sehr nahe steht, bis hin zur neoduvalieristischen Partei von Hubert de Ronceray, die sagte: „General Avril, treten Sie zurück! Wir haben eine Alternative: Ertha Pascal-Trouillot. Sie wird als provisorische Präsidentin die Durchführung der Wahlen vorbereiten.“ Die Wahlen hat dann bekanntlich Aristide mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen. Heute haben wir aufgrund der Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern von Aristide einen solch breiten Konsens nicht. Wir müssen ihn sehr schnell finden, wenn wir aus der Sackgasse herauskommen wollen.

Hätte Aristide dieser Polarisierung bewußter entgegenwirken sollen?

Sie ist in der haitianischen Gesellschaft angelegt. Es gibt hier nur extreme Gegensätze, Hütten und Paläste. Und die Kandidatur Aristides war insofern auch extrem, als sie die Kandidatur eines Armenpriesters war. Trotzdem: Das Medikament, um Haiti von dieser Krankheit zu befreien, war Präsident Aristide. Allerdings war es für einige eine zu starke Dosis. Die traditionelle Elite des Landes will nicht akzeptieren, daß die Mehrheit des Landes entscheiden darf. Aber auch Aristide hat es während seiner sieben Monate Amtszeit (1991) oft nicht verstanden, staatsmännisch zu vermitteln. Er hat sich von seiner eigenen Spontaneität mitreißen lassen und auch gewissen Pressionen zu schnell nachgegeben. So haben denn die Militärs und die Bourgeoisie in ihm nur noch eine Gefahr gesehen.

Aber das war er doch objektiv auch. Er mußte doch die Macht der tradierten zivilen und militärischen Elite beschneiden.

Letztlich war und ist Aristide für die nationale Aussöhnung. Aber diese Aussöhnung muß in jedem Fall auf Basis der Prinzipien der Demokratie stattfinden. Das Resultat der Wahlen muß respektiert werden. Man kann also nicht sagen: Cédras auf der einen Seite und Aristide auf der andern sollen sich zurückziehen, damit wir uns versöhnen. Was man auch immer von Aristide halten mag: die Mehrheit der Bevölkerung hat ihn gewählt. Also muß er wieder in sein Präsidentenamt eingesetzt werden.

Und das wollen Sie alles ohne ausländische Intervention erreichen? Soll man die Sanktionen denn weiter verschärfen?

Ich weiß nicht, ob Sanktionen der beste Weg sind, auf die Militärs Druck auszuüben. Jedenfalls wurden sie nie ernsthaft durchgesetzt. Heute scheint es hierfür zu spät.

Soll man sie also aufheben?

Nein, das wäre das falsche Signal.

Wie sehen Sie im Rückblick die sieben Monate Präsidentschaft Aristides?

Wir haben eine gesellschaftliche Mehrheit, aber wir haben bestimmte staatliche Strukturen geerbt und Strukturen jenseits des Staates. Das Personal der Ministerien ist durch und durch konservativ. Als dann die Duvalier-Diktatur 1986 abdankte, machten wir uns eine Ehre daraus, nicht in der Administration zu arbeiten, wir bauten unsere Organisationen auf. Von Verwaltung verstanden wir nichts, wir wußten, wie man Streiks organisiert, wir wußten, wie man in Pressekommuniqués den scharfen Protest ausdrückt. Wir haben die Gegner von gestern vorschnell als Gegner von heute behandelt. Wir haben es nicht verstanden, diese Leute zu gewinnen. Im letzten Februar traf ich Präsident Aristide in Washington anläßlich eines Treffens mit einer Reihe von Parlamentariern: solchen, die den Putsch unterstützt hatten, und solchen, die wegen des Putsches nicht mehr in ihr Land zurückkönnen. Bei dieser Gelegenheit sagte er in der ihm eigenen Rhetorik: „Das Land steht vor einem Fluß von Problemen. Ich bitte diejenigen, die vom Putsch profitiert haben, und diejenigen, die unter ihm gelitten haben, sich die Hand zu geben, um diesen Sturzbach zu überschreiten. Wenn wir auf der anderen Seite des Flusses angekommen sind, kann dann jeder wieder seine eigene Option verfolgen.“ Interview: Thomas Schmid,

z.Zt. Haiti