Strippoker auf der europäischen Milchstraße

■ Wegen ignorierter Mengenbegrenzung soll Italien 4,8 Milliarden Mark zurückzahlen

Brüssel (taz) – Weil die italienischen Kühe über Jahre zuviel Milch gegeben haben, kann sich der Beitritt Österreichs und der skandinavischen Länder zur Europäischen Union verzögern.

Die Angelegenheit ist so heikel, daß sie von den zwölf Landwirtschaftsministern zu den Außenministern rübergeschoben und von dort mit spitzen Fingern an die Finanzminister weitergereicht wurde. Die sollen nun darüber entscheiden, ob die italienischen Bauern das Geld für die zuviel gemolkene Milch zurückzahlen müssen oder ob vielleicht gar nicht zuviel gemolken wurde, wie die Europäische Kommission jetzt auf einmal behauptet.

Die Sache ist nicht ganz einfach: Seit 1984 dürfen die Molkereien in der Europäischen Gemeinschaft von jedem Bauern nur noch eine staatlich festgelegte Quote Milch abnehmen. Wer mehr liefert, bekommt für den Überschuß nicht mehr den europäischen Garantiepreis, sondern nur noch ein paar Pfennige. Für die italienischen Bauern hat die Kommission damals ausgerechnet, daß sie zusammen neun Millionen Tonnen melken dürfen.

Italien hat sich seither regelmäßig darüber beschwert, daß die Berechnungsgrundlagen falsch und zu niedrig seien. Die Regierung in Rom hat deshalb die Mengenbegrenzung schlicht ignoriert und den Bauern fast elf Millionen Tonnen Milch abgekauft – und das mit EG-Geldern, wie der Europäische Rechnungshof dann irgendwann feststellte.

Um die Sache in Ordnung zu bringen, müsse Italien von seinen Bauern 4,8 Milliarden Mark zurückfordern und nach Brüssel weiterleiten. Die italienische Regierung hob die Hände und wies darauf hin, daß das einer Anstiftung zur Revolution gleichkäme.

Vor zwei Wochen haben sich die anderen Agrarminister einsichtig gezeigt und die italienische Milchquote um 10 Prozent erhöht. Aber damit ist der Streit noch nicht aus der Welt. Italien will den Ministerratsbeschluß nicht als Einlenken, sondern als Wiederherstellung des Rechts sehen. Die Milchquote sei vor zehn Jahren falsch ausgerechnet worden, und deshalb müsse die erhöhte Quote rückwirkend gelten. In diesem Fall bräuchte Italien nur noch 2,4 Milliarden Mark zurückzahlen. Dazu ist Rom bereit. Die Europäische Kommission in Brüssel hat sich auf die Seite der Italiener gestellt und hält die Argumentation für schlüssig. Bloß die Agrarminister, Außenminister und Finanzminister aus den anderen Ländern wollen nicht recht glauben, daß bei der rückwirkenden Berechnung die üblichen Brüsseler Bemühungen um friedliche Bauern keine Rolle gespielt haben sollen. Sie vermuten, daß die Agrarexperten aus Rom und Brüssel den Ermessensspielraum übermäßig beansprucht haben. Ein solches Quotenwachstum durch Achselzucken könnte Schule machen, fürchten sie, und verlangen von Italien die volle Rückzahlung.

Die italienische Regierung ist nun darauf verfallen, die Überzeugungsarbeit mit einer Blockade der Haushaltsanpassung zu unterfüttern. Haushalt und Milchquote haben zwar miteinander nicht viel zu tun, aber die Haushaltsanpassung ist zur Zeit einer der wundesten Punkte der Europäischen Union. Nicht nur, weil ohne Anpassung die Einnahmen der EU hinten und vorne nicht reichen. Der neue Finanzrahmen war auch Grundlage der Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen. Solange er nicht in Kraft tritt, hängt die Aufnahme der neuen EU-Mitglieder in der Luft. Für den italienischen wie für die anderen Finanzminister sind die Verhandlungen jetzt reine Nervensache. Alois Berger