RAF: Von der „Zäsur“ zum „Schnitt“

RAF-Gefangene im befristeten Hungerstreik / Freilassung der Gefangenen Irmgard Möller gefordert / Absage an „Angebote“ der Bundesanwaltschaft / Unterstützeraktion in Berlin  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Der Regensburger Anwalt Franz Schwinghammer lieferte die Hungerstreikerklärung am frühen Morgen. Die Interpretation folgte am Mittag von den Besetzern des Konsistoriums der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg. Nach der Trennung der zwölf Hungerstreikenden von der RAF im vergangenen Herbst habe ein großer Teil der Linken die Solidarität mit ihnen vermissen lassen und ihr Schweigen damit gerechtfertigt, „es lägen keine klaren Forderungen von Seiten der Gefangenen auf dem Tisch“. Mit der gestern früh begonnenen zeitlich begrenzten Hungerstreikaktion, schreiben die Besetzer des Konsistoriums, „haben sich die Gefangenen als politisch handlungsfähiges Kollektiv zurückgemeldet“.

Ob und in welcher Form sich diese Hoffnung bestätigt, wird von der Reaktion der Linken, aber auch der liberalen Öffentlichkeit abhängen. Die Vorlage für die Gefangenen-Aktion jedenfalls kam, wie so oft in den vergangenen Jahren, von den Unentschlossenen in Justiz und Politik: Alle wußten, daß das Entlassungsverfahren für Irmgard Möller, der mit 22 Jahren am längsten inhaftierten Frau in Deutschland, entscheidend sein würde für den Fortgang der Auseinandersetzung mit der radikalen Linken innerhalb und außerhalb der Gefängnisse. Trotzdem wurde das Verfahren auf unerträgliche Weise in die Länge gezogen.

Der Streit um das psychiatrische Gutachten, das in der Regel einer „vorzeitigen“ Entlassung von Lebenslänglichen zugrundeliegt, hätte längst beigelegt werden können. Zuerst, weil der Gesetzestext eben nicht zwingend einen Psychiater als Gutachter vorsieht, sondern neutral einen „Sachverständigen“, später, weil der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung feststellte, daß auch ein Gutachten „nach Aktenlage“ möglich ist. Doch auf dieser Grundlage sah sich der vom Gericht beauftragte Psychiater nicht zu einer Expertise in der Lage. Statt dessen wollte er Irmgard Möllers Freunde nach ihrer psychischen Verfassung befragen und erhielt – erwartungsgemäß – eine rüde Abfuhr.

Die Ausgangslage vor der Aktion gleicht einem Offenbarungseid: Für die Entlassung Möllers sind die Bundesanwaltschaft, das Bundesjustizministerium, das Kieler Justizressort und angeblich auch das Landgericht Lübeck. Dagegen ist – jedenfalls interpretieren es die Gefangenen so – die Staatsanwaltschaft Heidelberg, die der Weisung des baden-württembergischen Justizministers Thomas Schäuble (CDU) untersteht. Und dagegen steht ein Psychiater, der möglicherweise glaubt, die ganze große Last der RAF-Vergangenheitsbewältigung ruhe auf seinen Schultern.

Es kann kaum überraschen, daß die RAF-Gefangenen in dieser Situation nicht glauben mögen, die fortdauernde Haft ihrer Genossin habe mit Politik rein gar nichts zu tun. Doch Irmgard Möllers Schicksal ist, wie die Konsistoriums-Besetzer unverblümt bekennen, nur der Aufhänger für den Hungerstreik, der nach Informationen der Kieler Justizbehörden auf eine Woche befristet ist. Tatsächlich versuchen die Gefangenen auf der Basis der aus ihrer Sicht ungebrochen harten Linie des Staates die radikale Linke erneut hinter sich zu versammeln. Die Deeskalationsstrategie, die mit dem auf die liberale Öffentlichkeit zielenden Hungerstreik von 1989 begann, sich mit dem von allen Inhaftierten unterstützten Verzicht der RAF auf Anschläge gegen die Spitzen aus Politik und Wirtschaft im Jahr 1992 fortsetzte und schließlich in der Abspaltung der jetzt hungerstreikenden Gefangenen von der RAF, von Birgit Hogefeld und drei in Celle inhaftierten Gefangenen endete, wird mit der Erklärung endgültig für gescheitert erklärt. Die Illegalen der RAF, die weiter an der 1989 eingeleiteten Linie festhalten, werden nicht mehr erwähnt.

Die Hungerstreikerklärung spitzt den Konflikt innerhalb der radikalen Linken zu. Der „Zäsur“ von 1989 soll nun der „Schnitt“ von 1994 folgen. Die Erklärung zielt auf diejenigen innerhalb der legalen und illegalen Linken, die den bewaffneten Kampf, auf welchem Niveau auch immer, fortsetzen wollen. Wer will, kann bestimmte Passagen der Erklärung als Aufruf zu neuen „bewaffneten Aktionen“ interpretieren.

Auf der Liste der Unterzeichner befinden sich neben Irmgard Möller auch einige andere, die auf eine „vorzeitige“ Entlassung nach über fünfzehn Jahren Haft hoffen. Die Bonner Stimmen, die nun ihre weitere Inhaftierung mit Inbrunst verlangen, werden nicht lange auf sich warten lassen. Gestern allerdings herrschte allenthalben aufgeregtes Schweigen.

Regierungssprecher Dieter Vogel ließ mitteilen, die Bundesregierung gehe der Vorgang nichts an. Das wird sich zeigen.