Eine „brandheiße Spur“ in Richtung Teheran

■ Für die Ermittler in Argentinien verdichten sich die Hinweise, daß für den Bombenanschlag vom 18. Juli in Buenos Aires der Iran verantwortlich ist

Eine etwa 55jährige Frau von „mediterranem Typ“ steuerte am Dienstag mittag einen grauen Audi mit gefälschtem Kennzeichen durch den Londoner Nobelstadtteil Kensington. Zwischen Old Court Place und Kensington Palace Gardens bog sie verbotswidrig in die kleine Straße Palace Green ein. In der von Polizisten bewachten Nebenstraße parkte sie den Wagen in unmittelbarer Nähe der israelischen Botschaft, stieg aus und verschwand in der belebten High Street Kensington. Ein Wärter der Botschaft beobachtete das Sezenario, doch bevor jemand den Wagen inspizieren konnte, explodierte er um 13.10 Uhr Ortszeit.

Spezialisten der britischen Anti- Terror-Brigade ermittelten, in dem Fahrzeug seien zwischen 10 und 15 Kilo hochexplosiven Sprengstoffs detoniert, vermutlich TNT oder Semtex. Für David Tucker, Sprecher der britischen Anti- Terror-Einheit, sprechen die meisten Indizien dafür, daß arabische oder muslimische Täter hinter dem Anschlag stecken. Die Explosion bedeute „die Rückkehr des „Terrorismus aus dem Nahen Osten“.

Abdul Kader, Mitglied der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) mit Wohnsitz in London, hält es für wahrscheinlich, daß die beiden Londoner Anschläge „von den gleichen Leuten ausgeführt wurden wie der Bombenanschlag von Buenos Aires“ eine Woche zuvor. Das dortige jüdische Kulturzentrum wurde nach aktuellem Ermittlungsstand ebenfalls von einer Autobombe zerstört. Freilich muß diese weit größer portioniert gewesen sein, denn der Sprengsatz in Argentinien zerstörte mehrere Gebäude und tötete mindestens 95 Menschen.

Die Ermittlungen in Argentinien führen immer mehr in Richtung Iran. Am Dienstag nahmen argentinische Polizisten drei Tatverdächtige fest, darunter eine Iranerin. Laut Medienberichten wurde die Angestellte der iranischen Botschaft mit einem gefälschten Paß auf dem Flughafen ertappt. Die Frau soll jenen Wagen gekauft haben, der später vor dem Kulturzentrum in die Luft flog. Bei den Männern soll es sich um Mitarbeiter der Agentur handeln, die das Auto verkaufte. In argentinischen Justizkreisen war am Dienstag von „sich verdichtenden Hinweisen“ die Rede, die darauf deuteten, daß ein iranischer Soldat, der lange in Buenos Aires lebte, den Anschlag geplant habe.

Auf die iranische Spur stieß der argentinische Ermittlungsrichter Juan José Galeano am Wochenende in Venezuela. Dort erhielt er von einem abgesprungenen iranischen Diplomaten angeblich brandheiße Informationen. Diese führten inzwischen zu diplomatischen Querelen zwischen den Regierungen in Buenos Aires und Teheran. Am Dienstag wurde der iranische Botschafter zum zweiten Mal innerhalb von 48 Stunden in das argentinische Außenministerium einbestellt. Gestern hieß es, die argentinische Regierung erwäge, die diplomatischen Beziehungen zum Iran abzubrechen.

Der Generalsekretär des argentinischen Außenministeriums, Andres Cisneros, erklärte am Dienstag, Indizien sprächen dafür, daß „die intellektuellen und ein guter Teil der materiellen Täter des Attentats nicht in Argentinien leben“. Damit widersprach er Gerüchten, wonach in Argentinien lebende Alt- und Neonazis gemeinsam mit muslimischen Tätern die Bombe gelegt haben. Anlaß zu den Spekulationen lieferten die Untersuchungen von Sprengstoffexperten. Demnach detonierte vor dem jüdischen Kulturzentrum eine Paste aus Aluminiumnitrat und Aluminium. Die Mischung soll ausschließlich in zwei argentinischen Militäreinrichtungen hergestellt werden.

Der argentinische Präsident Carlos Menem – ein gebürtiger Syrer – erklärte am Dienstag, die Ermittlungen richteten sich gegen „fundamentalistische Schiitenorganisationen“, die ihre Basis im Libanon hätten. Die Formulierung ist eine Umschreibung der vom Iran unterstützten Hisbollah. Bereits am Freitag war im südlibanesischen Sidon ein Schreiben einer der Hisbollah zugerechneten Splittergruppe aufgetaucht.

Die „Partisanen Gottes“ (Ansarullah) erklärten: „Selbstmordkommandos sind überall im Einsatz, um den Zionismus zu bekämpfen.“ Die Zeilen waren als indirektes Bekenntnis zu dem Anschlag von Buenos Aires und ein Attentat auf ein Flugzeug in Panama interpretiert worden. Am 19. Juli waren dort alle 21 Insassen eines Passagierflugzeugs getötet worden, als im Rumpf des Fliegers ein Sprengsatz detonierte.

Für die Version, die Bombe sei von islamischen oder arabischen Tätern gelegt worden, sprach, daß die Mehrheit der Passagiere Juden und israelische Staatsbürger waren. Am Sonntag teilte jedoch der Leiter der panamaischen Zivilfluggesellschaft mit, zu dem Anschlag hätten sich kolumbianische Drogenschmuggler bekannt. Die Bombe dürfte daher einem jüdischen Geschäftsmann aus Panama gegolten haben, der an Bord saß. Gegen ihn wird in Italien wegen Geldwäsche für die kolumbianische Drogenmafia ermittelt. Thomas Dreger