Physische Verdichtung im Bauch

■ Anne Duden sprach über den „Frauenleib als öffentlichen Ort“

„Eine Mutter ist eine Frau, deren Immunsystem die Fremdheit einer genetischen Zelle erkennt und trotzdem nicht abstößt“, schreiben die Verfassungsrichter in ihrem jüngsten Karlsruher Urteil zum Paragraphen 218. Die Körper-Historikerin Barbara Duden machte am Mittwoch abend in der Evangelischen Akademie in ihrem Vortrag „Der Frauenleib als öffentlicher Ort“ anhand dieses Urteils deutlich, wie aus Sprach-Definitionen scheinbar körperliche Tatsachen werden.

Zum Anlaß für die Veranstaltungsreihe „leibhaftig - von Körpern und Körperschaften“ nahm die Evangelische Akademie, wie die Mitorganisatorin Amelie Graef erklärt, daß „der Körper zur Zeit in zweifacher Hinsicht im Mittelpunkt steht“: Zum einen durch einen ausgeprägten Körperkult, zum anderen aber, weil erstmals Körperwahrnehmung und Körper überhaupt als etwas gesellschaftlich geprägtes hinterfragt würden.

Hieß es früher, eine Frau sei „guter Hoffnung“, wenn sich etwas in ihr regte, so wird heute „eine durch einen Schwangerschaftstest stigmatisierte Frau zum Umraum für Lebensproduktion“, verglich Duden den Wandel des Sprachgebrauchs. Dieser nahtlose Übergang von einer „hormonell diagnostizierten Frau zur Mutter“ bedeute eben auch eine ungeheure Sinnverschiebung. Eigene Körperwahrnehmung gelte nichts mehr, sondern der bio-juristisch normierte Blick von außen entscheide. So wird der Einzeller im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu einer Person, völlig abtrennbar von der Frau, was in früheren Zeiten nicht vorstellbar war.

Eine entkörperte Wahrnehmung des eigenen Lebens mache eine solche Definition von Leben ohne Körper und Körper ohne Leben - wie bei Hirntoten - erst möglich, so Duden und verdeutlichte das mit einem Beispiel: Ein Krebskranker, den sie nach seinem Befinden gefragt hatte, habe ihr geantwortet: „Da muß ich erst den Laborbefund abwarten.“

Früher gab es keine Trennung von Leib und Psyche, es gab Gefühle, zu denen auch der Schmerz zählte, der nur als Gefühl ausgedrückt werden konnte. Heute sollen Frauen in Schwangerschaftsberatungen gezwungen werden, sich per Ultraschallbildern einen Blick von außen zuzulegen und physikalische Verdichtungen im Bauch als Kind anzusehen. Das Karlsruher Urteil bedeute damit vor allem eine Normierung neuer Werte: Das Gericht schützt Leben, von dessen Existenz es nichts weiß. fre

Sommerakademie „leibhaftig - von Körpern und Körperschaften“ noch bis 27. August, Termine siehe Veranstaltungskalender