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Keine Lust auf Neues und Experimente

Aus Sicht ausländischer Architekten „marschiert“ Berlin in seinen Bauwettbewerben rückwärtsgewandt in die Zukunft / In der Baupolitik ist eine protektionistische Absicht erkennbar, die unliebsame Konkurrenten ausschließt  ■ Von Christa Aue, Paris

Berlin hat seit der Maueröffnung 1989 vieles für sich, vom Geld einmal abgesehen: Die Stadt stellt sich als ein Ort dar, der gerade wegen seiner vielen Narben und Traditionsbrüche gleichsam Platz für baulichen Ideenreichtum, architektonische Innovationen und Interventionen aller Art bietet. Dieser politisch-soziale und städtebauliche Aufbruch brachte es mit sich, daß die internationale Fachwelt nach Berlin zog, um hier in die wiederherzustellende Stadt strukturierend einzugreifen.

Damit waren alle kreativen Faktoren vereint, um Berlin neben der wirtschaftlichen auch auf der baulichen und künstlerischen Ebene wieder an die europäische Metropolendiskussion anzuschließen. Das verhängnisvolle Gefühl aber, an einer Zeitenwende zu stehen und großen Veränderungen ausgesetzt zu sein, hat nicht zu mutigen Schritten geführt: Statt geistig an die avantgardistische und „internationale“ Zeit der zwanziger Jahre anzuknüpfen, der Berlin ja letztlich auch sein Image als Metropole verdankt und auf dem es sich noch immer ausruht, wird die Gegenwart als Krise erfahren.

Antworten auf die städtebaulichen Herausforderungen der Gegenwart werden in den Bildern des 19. Jahrhunderts gesucht, anstatt die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung und einer positiven Entwicklung progressiv nach vorn abzuleiten. Diese konservative Haltung wurde nach verschiedenen Bauwettbewerben immer deutlicher ablesbar.

Es ist trostlos, daß in diesem Zusammenhang der Berliner Architekt Josef Paul Kleihues die Abkehr von städtebaulichen Experimenten propagierte. Er forderte, wie schon Vittorio Magnago Lampugnani, Chef des Frankfurter Architekturmuseums, die bewußte Distanzierung von technisch komplexer Architektur zugunsten einer rationalistisch-steinernen Architektursprache im Sinne Friedrich Schinkels. Letztere sei hier nicht in Frage gestellt, doch es ist gerade die Experimentierbereitschaft, die Berlin in einer Phase der gesellschaftlichen Vereinigung zwischen Ost und West braucht.

Die Ergebnisse internationaler Bauwettbewerbe, gezeichnete Zeitzeugen Berliner Zukunftsvisionen, sind nach 1989/90 durch eine Rückwärtsorientiertheit gekennzeichnet. Die Entwürfe der Architekten Hilmer und Sattler zum Potsdamer Platz, von Axel Schultes zum Spreebogen, von Hans Kollhoff für den Alexanderplatz oder letztlich der viel umstrittene Entwurf Bernd Niebuhrs für die Spreeinsel können alle vom Ansatz her als traditionalistisch, konservativ und letztlich als „preußisch“ gelesen werden.

Aus meiner Sicht wie auch aus der Perspektive vieler ausländischer Kollegen fragt man sich, welche Auswirkungen hat es, daß durch die symbolträchtige, ehemalige Reichs- und heutige Bundeshauptstadt Berlin wieder preußischer Wind weht. Dort wird eine schlicht-einfache Architektur gebaut, die nichts von spielerischer Lust auf Neues und Experimentelles verspüren läßt; statt dessen scheint man rückwärtsgewandt in die Zukunft zu „marschieren“. Was bedeutet diese preußische Strenge, die schon beim Spreebogen-Entwurf für die Regierungs- und Parlamentsbauten von Schultes so klassifiziert wurde? Sein Entwurf, die Spree in Ost-West- Richtung mit einem schmalen Gebäuderiegel zu überspannen und so die Fraktur der Stadthälften symbolisch zu überwinden, stellt gewiß eine starke städtebauliche Geste dar. Daraus aber die später auftauchenden großen Blöcke und dichten Baumassen als typische Berliner Architekturtradition abzuleiten und ideologisch zu verklären, führte in die falsche Richtung.

Bedauerlich ist auch, daß die „Preußen-Debatte“ sich in einem wie hermetisch abgeschlossenen Berliner Raum bewegt: Die Auseinandersetzung um steinerne, preußisch-schlichte oder traditionelle Planungen im architektonischen oder stadtplanerischen Bereich findet hauptsächlich auf der lokalen Ebene statt, zu der internationale Architekten kaum Zugang haben, selbst wenn in Frankreich ähnliche Tendenzen einer historisierenden Ästhetik auszumachen sind. Hier wie dort findet sich jeder ortsfremde Teilnehmer von Wettbewerben vor einem dichten Netzwerk von Beziehungen und internen Abhängigkeiten wieder, die schwer zu durchschauen sind.

Bauwettbewerbe in Berlin konstituieren ein fast schon geschlossenes System konservativer Architekturaufassungen durch speziell ausgesuchte Jurys und Teilnehmer. Kritiker dieser Verfahren wie der Holländer Rem Koolhaas werden mit einem „Bann“ belegt. Architekten, die nicht „passen“, werden nicht mehr eingeladen, während gleichzeitig weltweit ausgelobte Bauwettbewerbe an der Quantität der Ideen ersticken. Von außen auch nicht auf den ersten Blick durchschaubar ist unter anderem die Tatsache der mangelnden Objektivität bei Entscheidungen: In der Jury des Spreeinsel- Wettbewerbes beispielsweise wurden Fachpreisrichter-Plätze durch Sachpreisrichter, also Politiker, belegt, die zwar auch alle Architekten sind, aber politisch oder verwaltungstechnisch eingebunden, also fachlich nicht neutral in der Ausübung der Funktion.

Vorausgesetzt, solche und ander Konstellationen würden die Regel, dann drohte damit der Wettbewerb als „objektives“ Verfahren der kreativen Qualitätsoptimierung zweifelhaft zu werden und könnte sich statt dessen zum Machtinstrument von Politik oder einer Gruppe von lokalen Architekten und Stadtplanern entwickeln – in der Absicht, den Begriff von preußischer Ästhetik für sich zu beanspruchen und sich auf diese Weise auch ausländischen Kollegen gegenüber in Fachkreisen zu behaupten. Eben das scheint beim Spreeinsel-Wettbewerb tendenziell der Fall gewesen zu sein, wo, neben einer unklaren Ausschreibung, die Auswahlkriterien der Jury selektiv waren, so daß bereits unter den 52 ausgewählten Projekten der zweiten Phase, wie auch unter den letztlich preisgekrönten und angekauften Entwürfen, mehrfach solche hervortraten, die sich deutlich auf den alten Stadtgrundriß bezogen. Bei einer so stark historisch orientierten Selektion hätte man sich die Ausschreibung auf internationalem Niveau ersparen können. Die Qualität internationaler Entwürfe liegt ja gerade häufig in der emotionalen Distanz und der weniger detailgenauen Kenntnis des Wettbewerbsgebietes.

Im Umfeld von Baupolitik und Stadtentwicklung kann man hinter dieser undurchsichtig gehaltenen Situation eine tendenziell protektionistische Absicht erkennen. Die sogenannten Platzhirsche treten auf den Plan, Nichtkonformes hat es da schwer. Trotz der Architekturdebatte, die in Berlin nun lebhaft stattfindet, riskiert die Architekturszene in diesem Punkt, paradoxerweise ihre intellektuelle Dimension zu verengen, die sie durch ihre Marginalisierung als „Insel hinter Mauern“ während der IBA hatte herausbilden können. Die Stadt Berlin, die darum bemüht ist, sich in den Reigen der internationalen Metropolen einzureihen, stellt in diesem Punkt eine Kluft unter Beweis, die sich zwischen dieser verengten Haltung und der sich selbst gern zugeschriebenen Bedeutung auftut. Es gibt nun allerdings keinen Grund, zu glauben, in Frankreich sei alles besser. Schon allein die Rolle des französischen Staatspräsidenten überrascht, der einen enormen, für deutsches Empfinden ungerechtfertigt starken Einfluß auf das kulturelle Geschehen hat. Entscheidungen trifft er in puncto Architektur zum Teil persönlich, so geschehen bei der Nominierung von Dominique Perrault als Architekten der „Très Grande Bibliothèque“ oder von J.O. Spreckelsen für die „Tête-Defense“. Trotz seines kulturellen Feinsinns hat auch diese Art der Entscheidungsfindung zu zweifelhaften und von der Fachwelt kritisierten Widersprüchen zwischen Architektur und beabsichtigter Gebäudenutzung geführt.

In Frankreich ist die Situation des Wettbewerbswesens durchaus mit der in Berlin vergleichbar; vor allem, was den Zugang zu Wettbewerben für Pariser Bauvorhaben betrifft. „Beziehungen sind das halbe Leben“ – das gilt auch hier. An Wettbewerben beteiligen kann sich in der Regel nur jemand, der eingeladen wird – und eingeladen werden auch hier meist nur die Stars der Szene. Öffentlich in der Presse ausgeschriebene, für alle Architekten offene Wettbewerbe existieren so gut wie nicht. Wer die erste Barriere von Beziehungen überwunden hat, reicht ein Dossier mit seinen Referenzen ein, aufgrund dessen die Auswahl der Architekten vorgenommen wird.

„Referenzen“ bedeuten in diesem Fall weniger die Anzahl, Art und Qualität der realisierten Gebäude als vielmehr die Auswahl der bereits in den Architekturfachzeitschriften publizierten Bauwerke. Und diese sind wiederum proportional abhängig von den guten Beziehungen, die man mit der Presse pflegen sollte, wenn man sich den Start ins Star-System erleichtern will. Die Entscheidungsgewalt, welche Architekten der langen Warteliste zu welchem Wettbewerb zugelassen werden, liegt in Paris hingegen zentralistisch in der Hand einer sehr geringen Zahl von Verantwortlichen der Stadtverwaltung, deren fachliche Kompetenz bisher häufig angezweifelt wurde.

Trotz allem zeichnet sich Paris noch durch eine intellektuelle Offenheit aus, die Berlin auch charakterisierte, aber zu verlieren droht: daß nämlich seit Jahrzehnten in einem ausgesprochen hohen Maße immigrierte künstlerische Kapazitäten aufblühen und zu internationaler Anerkennung kommen können. Dies gilt in Paris für alle kreativen Bereiche, ganz besonders in der Musik, und läßt sich auch in der Architektur beobachten, sofern es sich um international ausgeschriebene Wettbewerbe handelt. Paris bewies eine solche Toleranz gegenüber internationalen Talenten, daß diese Haltung wegen der sich aufbauenden Konkurrenz auf interne Kritik stieß. Im umgekehrten Sinne, auf den in Berlin spürbaren Protektionismus im Bauwesen bezogen, kommt deshalb heute außerhalb bundesdeutscher Grenzen eher ein Gefühl von Enttäuschung und Resignation auf, nicht in gleichen Maße in der Berliner Architekturszene willkommen zu sein.

Die eingangs erwähnte Angst vor Experimenten hat nicht nur zur Eindimensionalität einer „preußischen“ Architektursprache geführt. Die Planungsaufgaben der Stadt – der Bau ganzer Quartiere für Büros und Wohnanlagen am Potsdamer Platz, in Mitte und an der östlichen Peripherie – werden zudem schnell und teils ohne Bezug aufeinander vorangetrieben. Angesichts der Komplexität mancher Planungsaufgaben und des „Erfolges“ mit unbefriedigenden Entwürfen meine ich, daß ein schrittweises Vorgehen ein durchaus legitimer Weg sein kann, komplexe Bauaufgaben in mehreren Anläufen zu klären.

So kann vermieden werden, daß Entwürfe in ihrer kompositorischen Einheit zerredet werden, wie es beim Reichstagswettbewerb der Fall war. Erstaunlich, wie das Solar-Energie-Dach von Norman Foster hier in eine Kuppel „umdiskutiert“ wurde. Statt eine klare Entscheidung anzustreben, die durchaus die Ablehnung aller vorgeschlagenen Ansätze hätte beinhalten können, ist die Jury selbiger Verantwortung durch die Prämierung von drei Entwürfen aus dem Wege gegangen, um die Ausgangsidee des letztlich prämierten Entwurfes bis in die Unkenntlichkeit zu verzerren.

Auch der Spreeinselwettbewerb war durch eine vergleichbare Unentschlossenheit gekennzeichnet, die bereits seine verfrühte Ausschreibung charakterisierte. Bei dieser Juryentscheidung wurde ablesbar, in welchem Maße die Politik die planerische Verantwortung um das Schloß, den Palast der Republik und das gesamte baugeschichtliche Erbe der ehemaligen DDR in die Hand einer 19köpfigen Jury delegierte. Das politische Kräfteverhältnis wird darüber hinaus zeigen, wie dieses Ergebnis nun umgesetzt werden kann: Die intellektuelle Aufarbeitung der Geschichte Berlins findet im Wettbewerbsergebnis, das alle DDR-Bauten abreißt, jedenfallls einseitig und historisierend statt.

Aber aller Ideenreichtum um Inhalt und Form der Wettbewerbe nützt wenig, wenn nicht darüber gewacht wird, daß Ausgewogenheit in der Zusammensetzung der Jurys und die Offenheit, auch kreativ-unkoventionellen und weniger werbewirksam veröffentlichten Architekten gegenüber garantiert bleiben. Und daß darüber hinaus diejenigen Jurymitglieder, die dem Befürworterkreis einseitig orientierter Architektur- und Stadtplanungsauffassungen nahestehen, ihr Monopol nicht durch regelmäßige Juryvorsitze untermauern können. Dies hat weit über Berlin hinaus seine Gültigkeit. Gemeinsam bleibt den beiden Städten Paris und Berlin interessanterweise eine zu verspürende ästhetische Rückwärtsgewandtheit in Architektur und Stadtplanung sowie die Abkehr vom Experimentellen. Die Abhängigkeit konservativen Denkens von Machtpositionen, die man untermauern will, um sie nicht zu verlieren, tritt dabei offen zutage.

Christa Aue ist Architektin und Stadtplanerin. Sie lebt in Paris. In Berlin hat sie sich an Bauwettbewerben beteiligt. Außerdem ist sie Mitglied des Stadtforums.

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