Eine unwürdige alte Dame

■ Vergiß die Peitsche nicht: Die 86jährige Dominique Aury outet sich im „New Yorker“ als Autorin der „Histoire d'O“

Daß die Frage der Autorschaft eines Tages niemanden mehr interessieren werde, hat die postmoderne Literaturwissenschaft uns vergebens einzureden versucht. Nichts fesselt die Phantasie der literarischen Öffentlichkeit mehr als die ungeklärte Urheberschaft eines Textes. Vor allem bei einem Buch, das die Einbildungskraft so sehr in Wallung bringt wie die sadomasochistische „Geschichte der O“. Das Buch ist nämlich eine Geschichte vom Ich-Verlust; die Heldin geht, wie Susan Sontag schrieb, „als menschliches Wesen ihrer Auslöschung, als geschlechtliches ihrer Erfüllung entgegen“. Und gerade da möchte man doch wissen, wer sich so etwas ausdenkt. Eine Frau etwa?

Als das Buch vor 40 Jahren in Paris erschien, firmierte eine gewisse „Pauline Réage“ als Autorin. Sofort kam das Gerücht auf, der Schriftsteller Jean Paulhan, der ein Vorwort beigesteuert hatte, sei der wahre Autor. Man hatte bemerkt, daß dem angeblichen Namen der Autorin nur ein h fehlt, um das Anagramm „Egérie Paulhan“ (Muse Paulhan) bilden zu können. Paulhan hatte allerdings von Anfang an die Autorschaft bestritten und versichert, Autorin sei „eine Frau aus der Provinz“, die nicht bekannt werden wolle.

Jetzt weiß man endlich, daß er zwar wirklich nicht der Autor war, das Buch aber doch mehr mit ihm zu hat, als er zugeben wollte. Die heute 86jährige Dominique Aury – als Übersetzerin, Lektorin bei Gallimard und Mitarbeiterin der renommierten Zeitschrift Nouvelle Revue Française eine nicht unbekannte Figur des französischen Literaturbetriebs – hat nun öffentlich ihre Autorschaft eingestanden.

In einem in der neuesten Ausgabe des New Yorker veröffentlichten Interview sagt Aury, sie habe die „Geschichte der O“ nicht um des Schockeffekts willen geschrieben, und es sei ihr auch nicht um das schnelle Geld gegangen. Das Buch sei ein „Liebesbrief“ an Jean Paulhan gewesen, ein Versuch, ihre Liaison mit dem gerade wieder verheirateten Geliebten aufrechtzuerhalten. Da sie von Paulhans Bewunderung für den Marquis de Sade gewußt habe, habe sie sich in dessen Schriften versenkt, um sich für ihr eigenes Werk inspirieren zu lassen. „Ich war nicht mehr jung, ich mußte mir andere Waffen beschaffen, um ihn zu verführen“, sagte Aury dem New Yorker. Als sie Paulhan von ihrer Absicht erzählt habe, einen erotischen Roman zu schreiben, habe der geantwortet: „Ich bin sicher, daß du das nicht schaffst.“ Drei Monate später mußte er sich eines Besseren belehren lassen. Nach Aurys Darstellung war es Paulhan, der dazu drängte, den ziemlich heftigen Liebesbrief zu veröffentlichen. Aus Rücksicht auf ihre Eltern habe sie darauf bestanden, als Autorin anonym zu bleiben.

Dem New Yorker, der sich gerne selber rühmt, einen geradezu fetischhaften Kult um die Überprüfung der von ihm berichteten Fakten zu treiben, ist diesmal allerdings etwas entgangen: Dominique Aury hatte sich zwar noch nie öffentlich zu ihrer Autorschaft bekannt, aber sie hatte doch schon so viel durchsickern lassen, daß darüber keine Zweifel mehr bestand. Le Monde (26.7. 1994) verweist denn auch süffisant auf einen vor vier Jahren veröffentlichten Artikel über den Verlag Gallimard, in dem von „Dominique Aury, Autorin der ,Geschichte der O‘“, die Rede gewesen war. Jörg Lau