Ein SS-Führer als Sylter Bürgermeister

■ Die Verbrechen des Aufstandes wurden in Deutschland nicht geahndet

Schon in den ersten Tagen des Warschauer Aufstandes zeigten die deutschen SS- und Polizeiregimenter, zu welchen Grausamkeiten sie in der Lage waren. Das Krankenhaus im Stadtteil Wola, wo sie kranke Frauen und ihre Pflegerinnen zuerst vergewaltigten, sie dann in die Keller schleppten und dort erschossen, steht als ein Beispiel für viele. Doch die Kriegsverbrechen, die SS, Polizei und Wehrmacht in Warschau verübten, wurden in Deutschland nicht geahndet. Im Gegenteil.

Oskar Dirlewanger, der Anführer der mordenden und brandschatzenden SS-Brigade, erhielt für seine zweifelhaften Verdienste nach dem Aufstand das „Eiserne Kreuz“ und wurde in die Slowakei versetzt, wo er den dortigen Aufstand gegen die Deutschen bekämpfte. Sein Schicksal in der Nachkriegszeit ist bis heute ungeklärt. Angeblich starb er am 7. September 1945. Eine andere Version lautet, es sei ihm gelungen, sich nach Südafrika abzusetzen.

Sein Helfeshelfer dagegen, der Anführer der russischen SS-Kollaborateure, Mieczyslaw Kaminski, wurde auf Befehl von General von dem Bach standrechtlich erschossen. Doch diese „Bestrafung“ erfolgte nicht etwa wegen der zahllosen Morde, sondern weil er, wie es von dem Bach bei den Nürnberger Prozessen formulierte, „für sich selbst und nicht für die Wehrmacht geplündert hatte“. Der General selbst wurde wegen seiner Rolle im Aufstand nie angeklagt. Während der Nürnberger Prozesse versuchte er erfolgreich, alle Verantwortung von sich auf Himmler und Hitler, die Warschauer Zivilverwaltung oder Untergebene abzuwälzen.

Im Verhör mit dem polnischen Ankläger in Nürnberg gab er zwar zu, als Chef der „Bandenkampfverbände“ permanent gegen Völkerrecht verstoßen zu haben, doch Konsequenzen hatte das nicht. Erst 1961 mußte er vor Gericht – wegen Beteiligung an Hitlers Abrechnung mit der SA Röhms vor dem Krieg. Im Gerichtssaal verkündete er: „Ich war bis zum Ende ein Mann Hitlers und bin bis heute von seiner Unschuld überzeugt.“

Noch besser erging es Heinz Reinefarth, dem als SS-Brigadeführer die Posener Polizeiregimenter im Warschauer Aufstand unterstanden. Reinefarth wurde in Nürnberg nie angeklagt und zweimal von deutschen Gerichten von allen Kriegssünden freigesprochen. Großbritannien, wohin er als Gefangener gebracht worden war, lehnte seine Auslieferung an Polen aus „Sicherheitsgründen“ ab.

1951 wurde Reinefarth zum Bürgermeister von Westerland auf Sylt gewählt, bei seiner Wiederwahl sechs Jahre später erhielt er auch die Stimmen der SPD, wie die Frankfurter Allgemeine vermerkte. Seit 1957 war der ehemalige SS- Brigadeführer schleswig-holsteinischer Landtagsabgeordneter für den „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“, der ihn gegen alle Anschuldigungen in Schutz nahm. Reinefarth bestritt bis zum Schluß, jemals überhaupt „hauptamtlich in der SS gewesen zu sein“. Tatsächlich, so ermittelten deutsche Historiker, habe er die Einsätze der Kaminski-Truppe aber selbst über Funk geleitet.

Die mangelnde „Aufarbeitung“ des Aufstandes von deutscher Seite ist einer der Gründe für die Proteste polnischer Veteranenvereinigungen und Politiker gegen die Einladung Präsident Walesas an Bundespräsident Herzog zu den Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag des Aufstandsbeginns. Daher kommt auch die Forderung, Roman Herzog solle sich in Polen für die Massaker an der Zivilbevölkerung entschuldigen. An Willy Brandts Kniefall vor dem Ghettodenkmal erinnert man sich in Polen noch genau. Eine entsprechende deutsche Geste für den Warschauer Aufstand hat es dagegen nie gegeben, denn der Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 ist im Bewußtsein der Deutschen viel tiefer verankert als der polnische Aufstand ein Jahr später. Selbst Roman Herzog hatte dies in einer ersten Reaktion auf die polnische Einladung verwechselt. Klaus Bachmann