Auf märkischen Sand gebaut

Einstürzende Neubauten des Barock: Schon vor 300 Jahren scheiterte der Berliner Baumeister Andreas Schlüter am lokalen Untergrund  ■ Von Walter Marx

Schlüter, Schadow, Schinkel, Scharoun und Rauch heißen die Leute, die im Register von „Reclams Kunstführer Berlin“ am häufigsten erwähnt werden. Betrachtet man letzteren als die Ausnahme, die die Regel bestätigt, so läßt sich fragen, welch aberwitziger Zufall im Spiel war, daß die Namen der einflußreichsten Architekten und Bildhauer Berlins mit „Sch“ begannen.

Aber Andreas Schlüter war schon eine Ausnahmeerscheinung. Vor 300 Jahren, Ende Juli 1694, trat der damals knapp 35jährige in die Dienste des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., der einige Jahre später preußischer König werden und sich Friedrich I. nennen sollte. Schlüter mochte gedacht haben, für den Rest seines Lebens saniert zu sein: die Stellung als Hofbildhauer und zukünftiger Lehrer an der Kunstakademie, die bald gegründet werden sollte, schienen einen Grundstein zu legen, der selbst auf märkischem Sand sicher bestehen könnte. Die spätere Ernennung zum Hofarchitekten schien die Fundamente seiner Stellung zu verstärken. Seine Rechnung sollte nicht aufgehen. Zwölf Jahre später scheiterte er, stürzten seine hochfliegenden Pläne in sich zusammen: Er hatte die Tragfähigkeit des märkischen Sandes falsch berechnet.

Um es gleich zu sagen: Von der Architektur Schlüters hat sich in Berlin rein gar nichts erhalten. Wozu dann die von ihm entworfenen Bauten erwähnen? Um zu beweisen, wie wenig einfühlsam die Architekten und die Spekulanten schon vor dem Faschismus mit dem historischen Erbe umgingen (die alte Post, ein Stadtpalast beim Schloß, der kleine Marstall und das Gießhaus wurden schon relativ früh plattgemacht)? Um ein weiteres Mal über die Zerstörungen durch die Bombardements der Alliierten zu lamentieren (Schlüters letztes Berliner Werk, das 1712 erbaute Landhaus des Ministers von Kameke, fiel den Bomben zum Opfer)? Oder um die längst bekannten Idiotien der Herrschenden und der von ihnen besoldeten Städteplaner in der BRD und DDR nochmals durchzuhecheln? Daß das Berliner Stadtschloß zum großen Teil von Schlüter entworfen wurde, braucht vielleicht nicht eigens erwähnt werden. Daß sich die Diskussionen über den Wiederaufbau ausgerechnet an einem einstigen Bau Schlüters entzünden, scheint ein weiteres Indiz für die Widersprüchlichkeit der Werke dieses Mannes zu sein.

Noch groteskeren Schicksalen waren andere Bauten Schlüters ausgesetzt, die schon zusammenfielen, als sie noch gar nicht beendet waren. Denn Schlüter, der als der bedeutendste deutsche Barockbildhauer gilt, war ohne Zweifel eine absolute Flasche, was die technische Seite, die Statik der Architektur anbelangt. Schlüter übernahm ab 1698 die Bauleitung des Zeughauses, änderte Pläne. Bald schon zeigten sich technische Mängel: eben gebaute Teile stürzten wieder ein.

Natürlich gab es Untersuchungen, man fahndete nach den Schuldigen. Da sich aber Schlüter beim Bau des Schlosses bereits unentbehrlich gemacht hatte, stand von vornherein fest, daß nicht er verantwortlich sein konnte. Obwohl man ihn also offiziell nicht zur Rechenschaft zog, übertrug man die Bauleitung des Zeughauses einem anderen — Jean de Bodt.

Seit 1701 arbeitete Schlüter neben dem Schloßbau an Plänen zu dem sogenannten Münzturm, dessen unterer Teil als Wasserspeicher für die Springbrunnen des Lustgartens dienen sollte. Dieser Turm – so die Vorgabe des neuen Königs – sollte ein alles überragendes Wahrzeichen der Residenz werden.

Das Problem bestand darin, daß der Turm nach Schlüters Plänen nur durch eine Galerie mit dem Schloß verbunden sein, somit völlig frei stehen und auf eine Abstützung durch ein benachbartes Gebäude verzichten sollte.

Im Jahr darauf ging man an die Bauarbeiten. Zwei Jahre später schon bemerkt man Senkungen und Risse. Schlüter ließ umbauen, ließ Seitenbauten anfügen, die dem Turm Halt geben sollten — in den Wänden knisterte es weiter. Die Pfahlgründungen wurden vertieft, die Stützbauten vergrößert, die Ankereisen vermehrt: Zwei Jahre kämpfte Schlüter verzweifelt, den Turm durch Unter- und Nebenkonstruktionen abzusichern, bis es 1706 nichts mehr zu beschönigen gab. Eine Sachverständigenkommission untersuchte den Turm, stellte die konstruktiven Mängel fest und erklärte den Abbruch für unumgänglich.

Der Abriß des Turmes markiert gleichzeitig Schlüters Sturz, wenngleich er sich noch ein halbes Jahr als Oberbaudirektor des Schlosses halten konnte. 1707 wird er auch in dieser Funktion durch seinen Konkurrenten Eosander abgelöst. Der ließ die nach Entwürfen Schlüters gefertigte Göttin Fortuna, die über dem Münzturm schweben sollte, hämisch Schlüters spottend, auf die von ihm entworfene Kuppel des Charlottenburger Schlosses setzen, wo sie sich noch heute (oder ist das mittlerweile eine Kopie?) wetterwendisch dreht.

Es ist überliefert, daß sich Schlüter danach der Konstruktion eines Perpetuum mobile widmete. Gleichzeitig bekam er noch kleinere Aufträge vom König. Aber auch da sollten sich Mißgeschicke einstellen. Er baute in Bad Freienwalde. Ausgerechnet beim Aufenthalt des Königs dort kam es bei einem heftigen nächtlichen Gewitterregen zu einem kleinen Erdrutsch. Schlüter hatte einen Hang abtragen lassen, die Böschung aber offensichtlich nicht zufriedenstellend gesichert. Und schließlich zeigte sich noch ein schwerer Bauschaden an der alten Kapelle des Berliner Stadtschlosses, den man Schlüters früherer Bauleitung zur Last legte.

1714 verließ Schlüter Berlin, weil er eine Anstellung in Petersburg gefunden hatte. Er starb dort noch im selben Jahr.

Immer wieder hat man im Barock die Nichtigkeit der Welt, die Vergänglichkeit, die Wechselhaftigkeit der irdischen Geschicke, das Ausgeliefertsein an Fortuna beschworen. Schlüter hat an dem Sarkophag seines Brötchengebers Friedrich III./I. neben der trauernden Frauengestalt (von Jacobi) einen Putto gießen lassen, der Seifenblasen in den Wind schickt. Hat je ein Künstler eine treffendere Allegorie für die Schicksale seiner Produktion geschaffen?