: Spurensuche oder Resteverwertung?
150 Jahre Berliner Zoogeschichte: Nur der Tierpräparator garantiert die Unsterblichkeit des Individuums ■ Von Dorothee Wenner und Helmut Höge
Als Bobby, ein von vielen Berlinern geliebter Gorilla, am 1. August 1935 im Zoo verstarb, nahmen sich im Naturkundemuseum die Präparatoren Karl Kästner und Gerhard Schröder seiner Leiche an. Kästner wandte bei Bobby erstmalig die aus der Anatomie entlehnte Paraffin-Methode an, die den Affenstar von damals zu einem bis heute beeindruckenden Meisterwerk der Dermoplastik werden ließ. Kästners Verfahren, so erklärt der amtierende Chef- Präparator des Museums, Detlev Matzke, sei konservationsgeschichtlich sehr bedeutsam gewesen, eine Art Revolution in der Kunst, tote Tiere mit ihren individuellen Gesichtszügen für die Nachwelt zu erhalten.
„So eine Affenhaut ist ja sehr nackt. Bei Tieren mit langen Haaren oder dicken Federn sieht man die Haut im Original nicht, die kann ich verstecken, wenn sie etwas geschrumpft, verknittert oder pergamentartig geworden ist. Bei einem Menschenaffengesicht geht das nicht, die Schrumpfungsrisse können nicht kaschiert werden. Da hat Kästner diese Methode entwickelt, mit der das Wasser über eine Alkoholstufenreihe aus dem Gewebe gezogen und dann Paraffin anstelle von Wasser in die Haut gebracht wurde.“ Das Resultat kann sich heute noch, neben den lebendigen Gorillas im Zoo, sehen lassen.
Eine Art Anti- Arche-Noah-Prinzip
Als alles anfing, bildeten Berliner Zoo, Naturkundemuseum und Botanischer Garten in Berlin eine Einheit. Eine geradezu obsessive Sammlerwut hatte die europäische Wissenschaftswelt damals erfaßt, die ehrgeizig am Projekt Die-Welt- ins-Wohnzimmer-Tragen beschäftigt war. Zoologen und Botaniker gingen selbst auf Sammelreisen, vorzugsweise in die Kolonien ihrer Länder, aber auch andere mutige Männer halfen. Sie alle brachten Kisten und Koffer voller Schädel und Felle mit, die in Berlin zunächst in einem Seitenflügel der Universität Unter den Linden gesammelt wurden.
Dieses 1810 begründete Archiv begann allerdings dermaßen zu wuchern, daß ein eigenes Museum in der Invalidenstraße gebaut werden mußte. Einhergehend mit der räumlichen Vergrößerung wurde der Zwang zur Systematik offenbar – nach dem eher zufallsbedingten Sammeln von Kuriositäten in den voraufklärerischen „Naturalienkabinetten“ verständigte man sich zunächst auf eine Art Anti- Arche-Noah-Prinzip: von jeder Art ein totes Männchen und Weibchen.
Solange die lebende und tote Tiersammlung im Zoo beziehungsweise im Museum noch große Lücken aufwies, schien es sinnvoll und überhaupt nicht fragwürdig, bei der Anschaffung der Tiere die Interessen der beiden Institutionen aufeinander abzustimmen.
Das Ende dieser interinstitutionellen Gründungsphase, in der Zoo und Museum nach einem Tod-und-Wiederauferstehungs- Schema ihre Sammlungen komplettierten, markiert das Schicksal des Beutelwolfs. „Als einmal ein wirklich seltenes Thier, ein Beutelwolf, im Garten war, hörte ich von einflußreicher Stelle die Worte: ,So ein Thier ist nichts fürs Publikum, das muß todt sein und gehört ins Museum‘“, so Tiermaler Leutemann anno 1871. Mittlerweile ist der Beutelwolf ausgestorben, hat sich quasi in sein Museums-Schicksal gefügt. Er galt als teilnahmslos und an der Umwelt desinteressiert, war also ein Zootier ohne großen „Schauwert“. Im Museum dagegen hat er nun sogar einen Ehrenplatz bekommen: anläßlich der derzeitigen Ausstellung „Spurensuche“, die der vergangenen und zukünftigen Zusammenarbeit von Zoo und Museum gewidmet ist, wurde in seiner Vitrine sogar ein Videoapparat aufgestellt, auf dem s/w-Filmaufnahmen von früher zu sehen sind, als der Beutelwolf einmal melancholischer Statist in einem Spielfilm war.
Skelette, wie Karteikarten geordnet
Während sich der Zoo immer mehr zu einer Unterhaltungsinstitution entwickelte, blieb das Museum seinem alten Forschungs- und Bildungsauftrag treu. Ursprünglich gab es auch keinen Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der Schausammlung, weder in der Präparation noch in der Präsentation. „Aber heute gibt es für wissenschaftliche Sammlungen ganz andere Kriterien. Um Arten und Unterarten genau bestimmen zu können, werden z.B. Felle und Bälge in großer Zahl gebraucht, und die müssen platzsparend untergebracht werden. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob das Tier nun Männchen macht, oder ob es läuft oder springt. Wichtig ist, daß die Tiere gut handhabbar und wie Karteikarten geordnet sind. Ich kann mir nicht den Schrank mit Affen vollhängen, wenn ich jeden Affen auf einen Ast drauf setze. Also wird nur der Schädel aufbewahrt, das Fell, und das Skelett dazu in der entsprechenden Kiste.“
Detlev Matzke führt durch die riesigen Archive in den oberen Stockwerken – die Berliner Sammlung zählt zu den fünf größten dieser Art weltweit. „Bei uns im Museum gibt es zoologische, paläontologische und mineralogische Präparatoren. Also einige Leute beschäftigen sich nur mit der Aufbereitung von Steinen, mikroskopische Schnitte, Schliffe und dergleichen. Die paläontologischen Präparatoren sind die, die sich z.B. mit den Saurierknochen befassen, während die zoologischen Präparatoren sich mit dem befassen, was noch lebt. In einem Museum wie dem unsrigen sind die Sammlungen so riesenhaft, daß sie einzelnen Kustodien zugeordnet sind. Wir haben einen entomologischen Präparator, der sitzt im Käfersaal, der ist für 12 Millionen Käfer zuständig, oder wieviel auch immer. Ein anderer ist für Schmetterlinge zuständig und ein dritter für Heuschrecken. Dessen Lebenswerk ist es also, da in dieser Sammlung zu sitzen und dieses Material aufzuarbeiten. Dazu gehört natürlich eine riesige Artenkenntnis! Bei den Präparatoren, die im Wirbeltierbereich arbeiten, gliedert sich das wieder, das ist eine Zuarbeitung für die Wissenschaftler und ihre verschiedenen Spezialstrecken. Das kann auch mal nur aus dem Freipräparieren von Gehirnen bestehen, wenn jemand eine vergleichende Untersuchung an Hirnen macht. Und dann gibt es noch vier, eigentlich fünf, Präparatoren für die Ausstellungen.“
Nach der Teilung der Stadt versuchte der Westen mit den Naturwissenschaftlichen Sammlungen Berlin-Charlottenburg einen Ersatz für das Ost-Museum aufzubauen. Das bis zur Wende zusammengekommene Material würde jedoch nicht viel mehr als einen Erker des Naturkundemuseums füllen. An der „Spurensuche“ beteiligen sich die Charlottenburger mit der Ausstellung „Letzte Zuflucht Zoo“. Sich der enormen Werte der Ostberliner Sammlung bewußt, weist Chef-Präparator Matzke auf die fest verriegelten Milchglasschränke, wo die Raubtierfelle aufbewahrt werden. Ziegenfelle hängen dagegen in Holzschränken, in durchsichtigen Vitrinen sind ordentlich nebeneinander zig Flußpferdschädel aufgereiht, Kartons mit Hasenskeletten, Zylindergläser mit Fischen, Vögeln, Schlangen oder Alligatoren. In jedem Raum kriechen einem benebelnde Gerüche in die Nase: Gerbsäure oder auch die Verdunstung von schätzungsweise 50.000 Litern Alkohol, in denen bleiche, tote Tiere schwimmen.
Die Dermoplastik verlangt eine wissenschaftlich fundierte und ins Künstlerische gesteigerte Art Tierfreundschaft. Daß die Tierpräparation mit Ausstopfen nichts zu tun hat, lernt der Laie in vier Werkstätten, die im Ausstellungsraum des Naturkundemuseums nachgestellt sind. Detlev Matzke erklärt den Prozeß einer professionellen Tierpräparation, wie sie zum Beispiel in Dioramen eingesetzt werden. „Da kommt also jetzt aus dem Zoo ein totes Tier ins Museum. Das liegt dann vor einem auf dem Tisch. Das guckt man sich erst einmal an, ob man Zeit hat, damit zu arbeiten. Zeit in dem Sinne, daß noch kein Fäulnisprozeß drinne ist. Erst einmal muß man sich ja mit dem Tier innerlich vertraut machen.
Die innere Form des Tieres erfassen
Man fängt also an, dieses Tier zu bewegen: wie weit kann ich das Kniegelenk nach oben nehmen, rutscht mir z.B. die Haut dabei unter dem Gelenk durch, wann gibt es Hautfalten usw. Wie weit kann es den Kopf rumnehmen? Man muß das Tier in seinem Bewegungshorizont erfassen. Das ist das erste, was man macht. Als nächstes nimmt man eine Totenmaske ab. Daran kann man bestimmte Haarrichtungen erkennen und Abstände, vom Augen- bis zum Nasenpunkt z.B., die man hinterher umsetzen muß. Dann wird das Tier noch ein bißchen photographiert, und man macht ein paar Skizzen. Auch Farbskizzen sind wichtig, wenn ich z.B. einen Pavian habe, der hat einen ganz bunten Hintern, beim Mandrill sind es die Gesichtsfarben, die markant sind. Dann wird das ganze Tier abgezogen, also ich zieh die Haut runter wie beim Kaninchen, suche mir aber vorher schon eine Schnittfolge, so daß bei der späteren Präparation die Schnitte nicht zu sehen sind. Beim Gorilla Bobby haben sie den Schnitt auf dem Rücken gemacht, weil man den mit seinem dicken Bauch von vorne anguckt. Es gibt auch eine Standardschnittfolge. Jetzt liegt als nächstes der Muskelkörper vor mir auf dem Tisch oder am Boden. Jetzt kann ich wieder das gleiche machen, das Tier erst mal bewegen, Skizzen von den Muskelformen machen usw. Es gibt ja nicht so sehr viele Künstler- Anatomiebücher. Wenn Sie sich so eins anschauen, dann haben Sie immer den Löwen drin, das Pferd und das Rind. Es gibt noch zwei, drei andere, wo eine Ziege und ein Hirsch gezeichnet sind und dann ist schon Schluß. Das heißt, wenn sie ein Nashorn oder einen Elefanten bekommen, sind Sie schon erschossen. Was Sie sich nicht selber an Informationen zur Anatomie
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rausgeholt haben, das finden Sie nirgendwo. Nachdem ich mir dann systematisch bestimmte Muskelgruppen runterpräpariert habe, habe ich da einen Haufen Knochen zu liegen. Davon bau' ich mir im Grunde ein grobes Skelett wieder auf und bringe es in die Stellung, in der das Präparat sein soll. Dadurch habe ich immer die Sicherheit, daß ich mich nicht vergaloppiere, weil das Skelett ja stimmen muß. Und dann fange ich an, mit dem Modellierton auf diesem Skelett Muskel für Muskel aufzutragen. Da gibt's zwei Möglichkeiten: entweder ich bau das Ding von innen nach außen auf, so richtig schön anatomisch, bis ich zum Schluß das ganze Tier dazustehen habe. Oder es wird gleich in die äußere Form gebracht. Das setzt aber voraus, daß ich meine Studien gemacht habe, dazu muß man in den Zoo gehen und sich selber die Tierchen anschauen. Heutzutage kann man dazu auch sehr schön mit der Videokamera arbeiten und Bewegungsabläufe aufnehmen. Wenn Sie im Zoo sitzen und gucken sich das Tier an – da kann ich fünf Stunden davor sitzen! –, aber wenn ich nach Hause komme, weiß ich immer noch nicht: Wie setzt der Löwe eigentlich den Fuß exakt auf? Man hat zwar den Gesamteindruck, aber die Details fehlen.
Manchmal denke ich: Der Bildhauer hat es einfacher als wir, der richtet sich nach dem äußeren Umriß, während die Präparatoren die innere Form des Tieres rekonstruieren müssen. Nehmen Sie einen Braunbären, der sieht puschelig aus, der hat einen dicken Hals und einen schönen Bauch. Wenn man sich aber von dieser äußeren Form leiten läßt, dann kriegen Sie anschließend niemals das Fell rüber, das wird dann ein völlig unförmiges Gebilde. Wenn man dann das Tier fertig modelliert hat, dann kommt eine Klebeschicht rauf, die Haut wird regelrecht aufgeklebt. Das ist ein Prozeß, der relativ lange dauert. Die Haut liegt da wie ein großer Teppich und ich muß es ja um die runde Form anbringen, da gibt es erst einmal tausend Falten. Eine Woche oder vierzehn Tage während dieses Trockenprozesses muß man täglich mehrere Stunden an diesem Ding arbeiten, um immer wieder Korrekturen anzubringen.“
Dem Museumspräparator geht es im Endeffekt nicht um das Tier und seine individuelle Geschichte, wo dann sogar die (Glas-)Augenfarbe bis aufs I-Tüpfelchen stimmen müßte: Wie es bei einem Hund z.B. der Fall zu sein hätte, dessen Leiche sein sentimentales Herrchen bei einem privaten Präparator in Auftrag gibt. Matzke möchte vielmehr die Geschichten einer Art erzählen. „Wenn ich z.B. ein Reh habe, dann bring ich da eine Spannung rein: Es ist gelaufen, hat also eine Schrittfolge gehabt, dann am Boden geäst, und plötzlich hat es ein Geräusch gehört, nimmt den Kopf hoch, macht sich relativ lang und äugt in die Gegend und ist dabei schon so weit gespannt, daß es im nächsten Moment wegspringen könnte, aber es kann genausogut auch im nächsten Moment feststellen, es ist nichts, und macht weiter. Es muß eine Zeitebene drin sein und es muß an diesem Tier eine Geschichte erzählt werden können.“ Die Idee dazu kann sich mitunter ganz plötzlich einstellen: „Wenn man durch den Tierpark geht, dann passiert es manchmal, daß man ein Tier sieht, das einen besonders reizen würde – zu präparieren. Das ist wie bei einer Kunstaustellung, wo man Hunderte von Bildern sieht, und eins, das ist es dann.“
„Spurensuche – 150 Jahre Zoologischer Garten“ bis 27.11. im Berliner Naturkundemuseum. Katalog 20 DM. „Letzte Zuflucht Zoo“ ab 15.9., Naturwissenschaftliche Sammlungen, Charlottenburg
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