Naturreine Niederbayern

Lösung der ländlichen Identitätskrise: Mit Hoffesten und Felderbegehungen werben Bayerns Biobauern für den ökologischen Landbau  ■ Aus Wochenweis Thomas Pampuch

Am Land is nix los? Moanst du! In München fallen Straßenfeste aus, aber Niederbayern liefert den Vollwertersatz. Stefan Jahrstorfer zum Beispiel, Ökobauer in Wochenweis im Vilstal, sprang neulich mit einem grandiosen Hoffest ein. Er ist seit Jahren Direktlieferant von Sonnenblumenöl für konstipierte Schwabinger. Als er zum Landgang lud, versammelten sich an die 1.000 Menschen im ehrfurchtgebietenden, tagewerkgroßen Innenhof seines viereckigen Anwesens. Produzenten und Konsumenten in frohem Beisammensein und ein beträchtlicher Lernschritt für die zahlreich angereisten „Stoderer“ (Städter).

Das Programm des Hoffestes mischte Aufklärung mit leiblichem Genusse. Biobier, Biowein, ja sogar (Weltpremiere?) Biocurrywürste stimmten auf ökologische Leib- Seele-Harmonie ein, bevor Stefan Jahrstorfer zur Präsentation seiner Bioland-Arbeit schritt. Erster Höhepunkt: die Besichtigung der Ölpresse, die seit 1992 unentwegt jene naturbelassenen Vilstaler Öle (aus Sonnenblumenkernen und Disteln) in Kaltpressung produziert: aus biologischem Anbau, unfiltriert, unraffiniert, ungefärbt, sortenrein, ohne Zusätze und ohne Nachbehandlung.

So erfolgreich ist die Wochenweiser Presse, daß sogar ein Pfälzer Bioweinbauer hier seine Traubenkerne zu Öl verarbeiten läßt. Allerdings ist dieses Öl so teuer, daß es offenbar nur mit Hinweis auf seine angeblich potenzsteigernde Wirkung zu vermarkten ist.

Jahrstorfer selbst setzt bei seinem Sonnenblumen- und Distelöl zu bezahlbaren Preisen einfach auf dessen natürlichen Geschmack und die ökologische Vernunft der Konsumenten. Zwar liefert die Kaltpressung nur zwei Drittel des Ölgehalts des Rohprodukts – im Gegensatz zu den 100 Prozent Ausbeute der industriellen Produktion mit hohen Temperaturen und jeder Menge Zusätzen. Entscheidend ist aber die „Abneigung gegen Chemie und den Wahnsinn, immer mehr ernten, düngen und spritzen zu müssen bei sinkenden Preisen und wachsenden Überschüssen, sagt Jahrstorfer.

Daß man auf dem Pflanzenölsektor alle möglichen Produkte ausprobiert, dagegen hat er nichts – im Gegenteil. Schon experimentiert er mit Hanf aus importiertem chinesischem Vogelfutter. Sobald das blödsinnige Hanfanbauverbot in Deutschland fällt, will er aus diesem „wunderbaren Produkt“ Öl machen. Auch an Textilien aus Cannabis denkt der Ökobauer bereits. Und sein neues Haus will er mit Dämmstoffen aus Hanf ausstatten. Die Aussicht auf all diese Verwertungsmöglichkeiten ist für Nichtraucher Stefan berauschend genug.

Bei der „Felderbegehung mit Spatendiagnose“ (der Jahrstorferhof umfaßt 56 Hektar Ackerland und 12 Hektar Wald) ging es dann ans Eingemachte. Was in aller Welt ist „mulchen“? Von zehn Städtern wußten neun nichts mit dem Begriff anzufangen. Hilfreiche Bauern aus der Nachbarschaft, die ebenfalls zahlreich und neugierig im Begehungstroß mitwanderten, klärten die Ignoranten in freundlichem Niederbayrisch auf: „Wennstas Hei net wegramst“ (wenn du das Heu nicht wegräumst). So zumindest aus konventioneller Agrariersicht jenes Geheimnis ökologischer Brachenbewirtschaftung.

Immerhin gelang es dem Jung- Mulcher, auch die Konventionellen – die noch vor ein paar Jahren eher über ihn gelacht hatten – zu beeindrucken. Seine Färberdisteln, sein Dinkel, sein Biogetreide und vor allem seine Sonnenblumen stehen inzwischen sauber da – nur vier Jahre nach der Umstellung auf ökologischen Anbau.

Daß Jahrstorfer die ganze Sache allein (bis auf drei Wochen im Jahr, in denen er polnische Saisonarbeiter einstellt) und sehr professionell und mit einem beeindruckenden Maschinenpark betreibt, nötigt immer mehr seiner chemiespritzenden Kollegen Respekt ab. Ebenso die Umtriebigkeit des Ökobauern, was die weitere Verarbeitung und die direkte Vermarktung der Ernte angeht. Da kann er im übrigen auf die Hilfe des ökologischen Anbauverbands „Bioland“ zählen. Im Bund Naturschutz (der ihn beim Hoffest tatkräftig unterstützte) ist Jahrstorfer seit Jahren.

So wird auch das brachliegende ökologische Bewußtsein der Gegend allmählich immer besser gemulcht. „Vor zehn Jahren waren wir im schwarzen Niederbayern noch ein rotes Tuch“, erzählt der gerade mal 30jährige Ökopionier des Landkreises Eichendorf. „Die SPD war hier immer a laare Hosn.“ Auf viel mehr als 20 Prozent ist sie nie gekommen. Politisch kümmert sie sich eher um die Arbeiter und Nebenerwerbsbauern bei BMW, als um die Landwirte.

Die schienen denn auch geraume Zeit mit sich und der CSU zufrieden. „Die Abnahmegarantien für Getreide und Zuckerrüben machten den Anbau jahrzehntelang idiotensicher. Kunstdünger und Chemie hat hier früher niemand in Frage gestellt.“

Aber vielen hat es irgendwann einfach keinen Spaß mehr gemacht: „Es gab eine richtige Identitätskrise.“ Einerseits die immer größer werdenden Abhängigkeiten von der EG, den Großabnehmern und den Chemiekonzernen und andererseits die zunehmende Umweltbelastung und Energieverschleuderung durch die Landwirtschaft.

Einfach war der Weg zur Umstellung nicht: „Als Grüner galtest du hier früher automatisch als linksradikal.“ Für die meisten Bauern war es wichtiger, sich bei den Subventionen und Stillegungsprämien auszukennen, als über so subversive Dinge wie alternative Anbaukonzepte oder Ökobilanzen Bescheid zu wissen.

Zwei Jahre dauert es, bis ein umgestellter Hof sich wieder trägt. Eine Hilfe war es für Jahrstorfer, der den Hof von seinem Vater gepachtet hat, daß er dessen Zuckerrübenkontingente (die Abnahmegarantien) an andere Bauern verpachten konnte. So hatte er etwas Luft, um bei der Umstellung zu experimentieren.

Heute ist er glücklich, den Schritt gemacht zu haben. Und nicht nur er. Im Landkreis haben inzwischen einige nachgezogen. Die Zahl der Ökohöfe hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht und liegt inzwischen von der Anbaufläche her über dem deutschen Durchschnitt.

Die Hoffeste der Ökobauern – und fast nur diese richten sie aus – sind ein Zeichen neuen Selbstbewußtseins der Biobetriebe. Allein im Juli fanden drei im Landkreis Eichendorf statt. Jahrstorfers Fest setzte dabei Maßstäbe. Nicht nur weil so viele Städter anreisten und die Kontakte zwischen Produzent und Verbraucher enger wurden. Auch die Besucher aus der Nachbarschaft staunten nicht schlecht. Vor allem, als nach groovigem Blues der zwanziger Jahre den Gästen in der Abendstunde echter Bauchtanz dargeboten wurde – ausgeführt von zwei Berlinerinnen und einer wunderbaren türkischen Profitänzerin. Als dann noch ein leibhaftiger Afrikaner seine Tänze zeigte („a Schwarzer kummt hier imma guat o“), gab es bei den Dörflern kein Halten mehr, und der Vierkanthof wurde zur Disco mit Afro-Sound.

All das ist ganz im Sinne von Stefan Jahrstorfer. Seine Lieblingsdevise lautet nämlich: „Global denken, lokal handeln.“