„Wir sind wieder wer!“

Im brandenburgischen Perleberg demonstriert die PDS ihren neuen Politikstil / Selbstbewußtsein zählt, weg ist das unterwürfige Buhlen / Konzepte sind aber so recht nicht zu erkennen  ■ Aus Perleberg Christoph Seils

„Eine neue Politik braucht das Land!“ Jawohl, davon ist Ralf Pomorin überzeugt. Demütige Selbstkritik nach vierzig Jahren realem Sozialismus sind dem Achtundzwanzigjährigen – mit Blick auf sein Alter – genauso fremd wie halblautes Klagen über die Folgen von vier Jahren Treuhandpolitik. Ralf Pomorin gehört zur neuen jungen Garde der PDS. Der selbständige Finanzkaufmann Pomorin ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Kreistag und aussichtsreicher Landtagskandidat. In Perleberg hat er mit der PDS auf den Weg gebracht, was er nach Stil und Inhalt unter einer neuen Politik seiner Partei versteht.

Bereits am 23. Dezember vergangenen Jahres wurde mit den Stimmen der PDS der Kandidat der CDU, Hans Lange, zum Landrat des Prignitz-Kreises gewählt. Der CDU-Kandidat sei, so erklärt der Jungpolitiker in ungebremstem Redeschwall, „einfach der bessere Mann“ gewesen und kein „machtgeiler Karrierist“ wie sein Herausforderer von der SPD.

Nicht bei allen Parteifreunden jedoch trifft diese selbstbewußte Dynamik auf ungeteilte Zustimmung. Der gesetzliche Rahmen in der Kommunalpolitik sei viel zu eng, als daß sie hier in der Mangelverwaltung politische Verantwortung übernehmen könne, gibt die Kreisvorsitzende der PDS, Sigrid Henning, zu bedenken. Und fügt ohnmächtig hinzu: „Ob SPD, CDU oder die alte SED: es ändert sich nichts, wer die Macht hat, setzt sich durch.“

Im nordwestlichen Zipfel Brandenburgs liegt die Kreisstadt Perleberg. Nicht ohne stolz blicken die vierzehntausend Perleberger auf die 755jährige Geschichte ihrer Stadt zurück. „Sie ist bestimmt von Aufbau und Zerstreung, friedlichen Zeiten des Handels und Wandels durch aufblühendes Bürgertum, durch Ausbeutung, Not und Klassenkämpfe“, so heißt es scheinbar zeitlos in der Festschrift zum 750jährigen Stadtjubiläum vom August 1989. Die Schrift hat den Sozialismus in Perleberg überlebt und wird vom Fremdenverkehrsbüro an historisch interessierte Besucher und Besucherinnen weiterhin verteilt.

In vielerlei Hinsicht ist Perleberg eine typische brandenburgische Kleinstadt. Die DDR-Plattenbauten zieren das Stadtbild genauso wie Fachwerkhäuser und die obligatorische gotische Backsteinkirche. Perleberg war immer eine Verwaltungsstadt und ökonomisch abhängig vom benachbarten Wittenberge. Dort hat die Treuhand die gesamte Industrie lahmgelegt. Gut jede oder jeder fünfte der Perleberger WählerInnen machte bei den Kommunalwahlen im vergangenen Dezember das Kreuz bei den Kandidaten der PDS. Die demokratischen Sozialisten sind, so ihr Stadtrat Horst Maudrey, dem „Wohle der Stadt und ihrer Bürger verpflichtet“ und wollen „Anwalt der sozial Benachteiligten“ sein. Wie man es von ihr erwartet, klagt die PDS über steigende Mieten, geschlossene Kindertagesstätten oder den kulturellen Kahlschlag.

In den Augen von Ralf Pomorin hat jedoch nicht Protest der PDS die Wähler zugetrieben, sondern die gute politische Arbeit der letzten Jahre. Was in den Medien über die PDS vermittelt werde, decke sich nicht mit dem Eindruck, den die Menschen hier vor Ort haben. Bei den Wählern sei „rübergekommen, daß wir engagiert und kompetent sind“. Der PDSler leistet mit seinem ganzen Körper Überzeugungsarbeit. „Heute werden Sie in Perleberg kaum noch jemanden finden, der die PDS nicht akzeptiert.“

Die PDS-Mitglieder sind in der Stadt fest verankert. Sie arbeiten im Behindertenverband oder Mieterbund, betreuen Asylbewerber, organisieren die Altenpflege. Den Protest gegen die Schließung von Kindertagesstätten unterstützt die PDS genauso wie die Empörung der Eltern gegen die kommunale Schulpolitik. „Doch soziales Engagement sei kein Parteibeschluß“, wehrt Ralf Pomorin alle Versuche ab, darin Parallelen zur Arbeit von SED-Mitgliedern in den Massenorganisationen der DDR zu sehen. Alles laufe vollkommen freiwillig, häufig ohne daß die PDS überhaupt etwas davon wisse.

„Ja, uns gibt es noch, kommen Sie rein.“ Schon in der Begrüßung klingt der Trotz der vier alten Damen unüberhörbar mit. Über einen Hinterhof führt der Weg in das kleine Büro der Volkssolidarität. In der DDR war die Volkssolidarität für die soziale und gesundheitliche Betreuung der Senioren zuständig und wurde natürlich „wie alle DDR-Einrichtungen aus dem sozialen Bereich herausgedrängt“. Ilse Gottschalk ist bereits seit neun Jahren dabei. Früher hauptamtlich im Club der Volkssolidarität – „den sich jetzt die AWO (Arbeiterwohlfahrt) unter den Nagel gerissen hat“ – und seit der Wende auf immer wechselnden ABM- Stellen. Weil die Organisation in der lukrativen häuslichen Kranken- und Altenpflege nicht mitmischen darf, hat sich die Volkssolidarität auf die Kulturarbeit mit Senioren spezialisiert.

Mit wachsendem Erfolg, denn das Freizeitangebot für Senioren ist, seit es nicht mehr vom Staat finanziert wird, dürftig. So berät die Volkssolidarität ihre über dreitausend Mitglieder im Prignitzkreis zum Beispiel gemeinsam mit dem Weißen Ring über den Schutz vor Kriminalität oder über Erbrechtsfragen, organisiert Seniorenreisen und Volksmusikabende. Ins Schwärmen gerät Ilse Gottschalk über das Gesangsduo „Hauff & Henkler“, das kürzlich Gast der Volkssolidarität Perleberg war. Früher ständig im DDR-Fernsehen, muß das Duo heute über die ostdeutschen Dörfer tingeln.

„Was früher gut war, kann doch heute nicht schlecht sein“, darin sind sich die vier Damen einig. Eifrig nicken sie mit dem Kopf, während sie mit stoischer Ruhe Einladungen schreiben. „Politisch sind wir unabhängig, im Gegensatz zur AWO – das steht in unserer Satzung“, betont Ilse Gottschalk, aber alle vier lassen keinen Zweifel daran, daß ihre ganze Sympathie der PDS gilt. „Das sind die einzigen, die uns unterstützen.“ Auch wenn den hohen Erwartungen längst die Ernüchterung gefolgt sei, keiner wolle hier die DDR zurückhaben. „Aber wir stehen zu unserer Vergangenheit. Keiner von uns braucht sich für die letzten vierzig Jahre zu schämen.“

Aber es sind nicht nur die klassischen Betroffenenverbände, in denen PDS-Mitglieder aktiv sind. „Altenpflege ist nichts für mich.“ Der Stolz von Ralf Pomorin ist Alemania Wittenberge, der beste Fußballklub der Prignitz. Drei Jahre war er dort im Präsidium, hat Spieler, Trainer und Sponsoren organisiert, den Verein vor dem Abstieg aus der Landesliga West bewahrt sowie gleichzeitig den Jugendfußball wiederaufgebaut. „1990 war ich hier einer von wenigen, die sich für den Freizeitsport engagiert haben. Inzwischen bin ich im Kreis bekannt wie ein bunter Hund, und jeder weiß, daß ich von der PDS bin.“

Doch es scheint kein Zufall, daß sich Ralf Pomorin in seiner Freizeit in einem Bereich betätigt, in dem sich im Westen traditionell die lokale Wirtschaft tummelt. Der Jungunternehmer will die PDS auch für den ostdeutschen Mittelstand attraktiv machen. Die Wirtschaftsförderung müsse vereinfacht und der Mittelstand steuerlich entlastet werden. Der demokratische Sozialist macht den Liberalen Konkurrenz. Auch davon hänge die soziale Entwicklung in den ostdeutschen Kommunen ab.

Im Rathaus und in der Kreisverwaltung versucht man den Einfluß der PDS tiefzuhängen. Wegen „zahlreicher Amtspflichten“ sind weder der Bürgermeister von Perleberg noch der Landrat zu sprechen. Nur der Pressesprecher der Kreisverwaltung, Gottfried Freyer, gibt Auskunft. Mit Sachsen-Anhalt könne man Perleberg nicht vergleichen. Ausschlag für die Wahl des CDU-Landrats habe dessen persönliche Qualifikation gegeben. Im Kreis gehe es um Sachthemen, bei denen alle Parteien zusammenarbeiten müßten. „Wir stehen hier im direkten Kontakt mit den Bürgern und müssen die Probleme konkret lösen.“

Parteienstreit wollen sich die Perleberger Kommunalpolitiker nicht leisten, schließlich stehen dem Landkreis harte Auseinandersetzungen mit der Landesregierung in Potsdam ins Haus. Es geht um die Strukturpolitik in Brandenburg und somit um hohe staatliche Fördermittel. Da kann man nur erfolgreich sein, wenn alle Parteien an einem Strang ziehen. Von Ablehnung oder Ausgrenzung gegenüber der PDS ist keine Spur. „Die jungen Leute von der PDS hier im Kreis“, so Gottfried Freyer, „haben mit der alten SED nichts zu tun.“

Als Verwalter der Sachprobleme sieht sich auch Perlebergs PDS. Eigene politisches Akzente oder streitbare Konzepte sucht man vergebens. Den „Wählerauftrag wahrnehmen“ bedeutet für die PDS, man dürfe „nicht in Fundamentalopposition verfallen“. So will man die Unternehmer mit der Kommune an einen Tisch bringen und mahnt, den sozialen Wohnungsbau nicht zu vernachlässigen. Schließlich fordert man ein gewinnbringendes Nutzungskonzept für kommunale Immobilien und kündigt an, ein wachsames Auge auf die langfristige Investitionsplanung im Prignitzkreis zu werfen. Prima, wenn sich Politik so „versachlichen“, Interessenausgleich so einfach planen läßt.

Die Wahl des CDU-Landrates ist dann die logische Konsequenz. Die Frage, ob die PDS nicht auch von den alten Seilschaften profitiere, weist auch Ralf Pomorin entschieden zurük. Nicht alte, sondern neue, „durch Geld geschweißte Seilschaften“ seien in Perleberg und Umgebung schnell entstanden. „Die haben zwei Jahre gebraucht, um alles unter ihren Hut zu ziehen.“

„Den Rang der SED-Nachfolgepartei hat die SPD der PDS im Prignitz-Kreis längst abgelaufen.“ Die SPD hier sei – im Gegensatz zur PDS – voll mit früher in führenden Positionen tätigen SED-Mitgliedern. Mehr als die Hälfte der Kreistagsabgeordneten der SPD hat sich schon vor der Wende „in Amt und Würden bewegt“. Darunter seien beispielsweise der ehemalige Genosse Kreisturnwart sowie der hauptamtliche Genosse Kampfgruppenkommandeur im VEB Zellstoff und Zellwolle Wittenberge. „Die sind wieder bei der Mehrheit gelandet.“ Und mit verschmitztem Grinsen fügt er hinzu: „Insofern habe ich schon Verständnis dafür, daß die Alten in der SPD mit uns nicht zurechtkommen.“