■ Die Welt scheint immer auf der Seite der Flüchtlinge
: Blindes Mitleid

Langsam gelangen auch andere Meldungen aus den Flüchtlingslagern in Zaire zu uns. Viele der Hutu- Flüchtlinge sind in Wirklichkeit nicht geflohen, sondern von der ehemaligen Regierung über Radio aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Vorsteher von Hutu-Dörfern sollen teilweise sogar die Bevölkerung mit gezogener Waffe gezwungen haben, sich auf den Weg nach Goma zu machen. Dort bilden sich Militärmilizen und eine neue politische Führung, die von Zaire aus die Rückkehr an die Macht erkämpfen will. Ohnehin hat die entmachtete Hutu-Regierung alles Geld noch rechtzeitig aus Ruanda nach Goma geschafft. Wovor flüchten die Hunderttausende Hutu eigentlich? Sie fürchteten, daß sich die Tutsi mit demselben Blutrausch an ihnen rächen würden, der noch vor wenigen Wochen zu einem der größten Völkermorde geführt hatte. Die Weltöffentlichkeit muß die Angst dieser Menschen akzeptieren. Verbietet der Anblick des massenhaften Elends aber die Frage nach der Verantwortung für diese Katastrophe?

Die Welt scheint immer auf der Seite der Flüchtlinge. Längst haben Machthaber die Möglichkeit erkannt, damit Politik zu machen, Druck auszuüben, von der eigenen Schuld abzulenken. Auch im Fall Ruanda scheint dieses Konzept aufzugehen. Die Weltöffentlichkeit in ihrem grenzenlosen Mitleid fragt nicht nach der Ursache der Katastrophe, sondern spendet. Teile der Hilfsgüter sollen nach neuesten Berichten der „Ärzte ohne Grenzen“ direkt an die in den Flüchtlingslagern Organisierten gehen. Man muß sich fragen, ob sie nicht den Falschen hilft und damit den Krieg verlängert.

Die Tutsi ließ sie dagegen im Stich. Gelähmt sah man zu, wie der Völkermord geschah. Von einer Kollektivschuld braucht nicht die Rede zu sein, wohl aber von einer Mitverantwortung. Angesichts des gigantischen Ausmaßes des Massakers richtet sich an jeden Hutu die Frage, ob er – vielleicht nicht mitgemordet, wohl aber das Geschehen mitgeduldet, wenn nicht gar begrüßt hat. Ist die Massenflucht am Ende nur die Flucht vor dem Dämon der eigenen Verbrechen?

Die wahren Opfer der Katastrophe befinden sich derzeit in Ruanda und trauern um ihre toten Angehörigen. Sie boten der Welt bislang noch keine Bilder von massenhaften Racheakten. Jetzt liegt es an der internationalen Gemeinschaft, zu zeigen, daß man sich nicht nur von blindem Mitleid leiten läßt, daß man endlich auch den Opfern Gerechtigkeit widerfahren läßt. Katastrophenhilfe ist das eine – Unterstützung beim Aufbau, ja der Neuerfindung eines zertrümmerten Landes das andere. Elisa Klapheck

Freie Journalistin in Berlin