■ Trotz Bill Clinton, Halbfett-Milch und Diät-Cola:
: Hundert Prozent fette Amis

New York (taz) – Super-Gesundheitsmüsli, Diet-Coke, Ultra- Lite-Beer. Wohin man in US- Amerika auch schaut, die Zeichen stehen auf Schlank. An jeder Straßenecke wird cholesterolfreie Eiscreme angeboten. Kein Joghurtbecher, auf dem nicht die 99prozentige Fettfreiheit des Produktes gepriesen würde, kein Kartoffelchip oder Schokoriegel ohne Kalorientabelle, keine Speisekarte ohne health-food-Ecke.

Im Café sucht man zwischen Sweet Nothin-Süßstoffpäckchen vergeblich nach ordinärem, kalorienbelastetem Zucker, statt Sahne gibt es nur wässrige Magermilch oder garantiert fettfreien pflanzlichen Kaffeeweißer. In Fernsehspots sieht man jede Menge glücklicher Crunchy-Müsli-knabbernder Familien. Selbst der Mayonnaise, jenem fettigen Stoff, mit dem die dreistöckigen Turkey-Tuna-Eggsalad-Sandwiches zusammengeklebt werden, wurde das Öl entzogen. Es scheint, als wären alle Amerikaner das ernährungsbewußteste Volk der Welt.

Tatsächlich wird in keinem Land soviel Geld für schlankmachendes Essen ausgegeben wie in den USA. Die Diät-Industrie setzt hier jährlich rund 50 Milliarden Dollar um. Das Bodybuilding-Studio für zu Hause kann man schon für 20 Dollar im Monat leasen. Und Bill Clinton als joggender Präsident macht ja auch nicht die schlechteste Figur. Doch irgendwie muß die amerikanische Diätkur zu gut angeschlagen haben. Denn wie eine vom National Center for Health Statistics herausgegebene Studie belegt, werden die Amerikaner immer dicker. Hatte in den 60er und 70er Jahren nur ein Viertel der US-Bevölkerung Übergewicht, ist die Rate der Fettleibigen zwischen 1980 und 1991, der Zeit des Fitneß-Booms, um über 30 Prozent gestiegen. Jetzt trägt jeder dritte erwachsene Amerikaner mindestens 15 Kilogramm zuviel Speck herum. Haben die Aerobic-Übungen von Jane Fonda etwa versagt? Oder hat die Werbung, diese Teufelsmacht, die Amerikaner wieder mal zum Fressen verführt?

Die amerikanische Lebensmittelindustrie gibt jährlich 3,6 Milliarden Dollar für Werbung aus. Das Budget für einen Kellogg's-Cornflakes-Spot ist doppelt so hoch wie der Jahresetat für die Aufklärungskampagne des amerikanischen Krebsforschungsinstitutes. Doch Cornflakes allein machen noch nicht dick. Die Masse macht's. Der durchschnittliche Amerikaner ißt doppelt soviel, wie er zum Leben braucht, genauer gesagt, 3.700 Kalorien am Tag. Es ist der pure Größenwahn, an dem die USA zu verfetten drohen: Wir sind ein großes Land, eine Weltmacht! Wer mächtig sein will, braucht Kraft, muß viel essen. Wir sind ein reiches Land und können uns das leisten! So lautet das Credo.

Ein Gang durch einen x-beliebigen Supermarkt in den USA bestätigt diese Lebensphilosophie. Die angebotenen Lebensmittelportionen sind gigantisch: Drei-Kilo- Chips-Tüten, Milch, Orangensaft und Limonade in 3 1/2-Liter-Kübeln, T-Bone-Steaks in Küchenbrettgröße, Joghurtbecher, in denen man zu ertrinken droht – und das alles 24 Stunden am Tag verfügbar. Es ist nicht kulinarischer Genuß, der die Amerikaner zum Essen treibt. Es ist der ungebrochene Wille zum Konsum. Ich verzehre große Mengen, also bin ich, denkt sich der Pizza-Hut-Kunde beim Vertilgen der zweiten Salami-Käse-Torte. Denn neben dem Vielessen ist die Schnäppchenjagd die zweite große Passion der Amerikaner. „Kauf zwei, krieg das dritte umsonst“ ist das Verkaufsmotto, nicht nur in der Food-Branche. Wer kann da schon Nein sagen? Hinterher trinken wir dann einen entkoffeinierten Cappuccino. Aber mit Magermilch, bitte. Ute Thon