Wenn Sauerteig zu sauer wird

Ein Hoch den Hochs: Kühlschränke kapitulieren, klimatisierte Lesesäle sind der Renner, und Spreequell hat Engpässe bei der Wasserproduktion  ■ Von Patricia Pantel

Angefangen hatte alles mit Yorck. Ende Juni machte er sich auf den Weg nach Deutschland. Nach Yorck kam Zefir, und der brachte die erste große Hitzewelle. Ihm folgte Alfred, Brutus machte sich vom Nordmeer auf, Charly kam von den Azoren und Dirk und Ewald aus Irland. Aber die Masseninvasion der Hochs sollte noch immer kein Ende haben: Fabian kam aus Frankreich, Günter aus England, und jetzt strahlt der aus der Biskaya stammende Hektor sonnig vom Himmel. Hitze allerorten. Alles klagt und stöhnt.

„Man muß sich eben konzentrieren und sich einbilden, daß es gar nicht so heiß ist“, sagt Rainer Ludewig aus dem Internationalen Handelszentrum in der Friedrichstraße. Tapfer hält der technische Leiter für die Klimaanlagen im Hause den 30 Grad in seinem Büro stand. „Man kann ja schließlich nicht gleich, wenn es mal heiß wird, überall Klimaanlagen einbauen“, sagt er kühl und schwitzt weiter.

In Jürgen Breitmeyers Büro in der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) sind es sogar 33 Grad: „Ich habe immer eine Waschschüssel unter dem Schreibtisch, da stelle ich die Füße rein“, erklärt er seine Methode, gegen die Hitze anzukommen. „Alle arbeiten eben etwas langsamer, aber das macht nichts, denn so voll ist es sowieso nicht.“ Und die Mitarbeiter der AGB können sogar hitzefrei nehmen und zwei Stunden pro Tag früher nach Hause gehen – unbezahlt natürlich.

Wer noch einen Ventilator ergattert hat, schleppt ihn mit sich von Büro zu Büro. Seit Tagen schon gibt es von Berlin bis Holland keine Ventilatoren mehr zu kaufen. Und auch vom Kühlschrank als letzte Abhilfe ist in diesen Tagen nicht mehr viel zu erwarten. Laut röhrend steht er in der Küche und drinnen schmilzt die Butter. „Bei uns laufen seit Tagen die Telefone heiß. Alle Leute rufen an, weil ihr Kühlschrank nicht mehr funktioniert“, sagt Roswitha Blüthmann vom AEG Kundendienst. „Bei 26 Grad fängt ein Kühlschrank an heißzulaufen. Während er sonst zwischendurch abschaltet, läuft er bei so einer Hitze in einer Tour und packt es einfach nicht mehr.“

Ungewöhnliche Hitze schafft auch ungewöhnliche Modetrends. Die Müllmänner haben schnippschnapp mit ihren langen orangefarbenen Hosen kurzen Prozeß gemacht. Und auch bei den Bäckern ist kurz angesagt, mit Karo. „Die Bäckermütze muß bleiben, das ist Vorschrift, aber sonst kürzt man, wo man kann“, sagt Hans Selle, zweitoberster Brotherr der Bäckerei „Märkisches Landbrot“ in Neukölln. Vor den Öfen schwitzen die Bäcker bei Temperaturen bis zu 40 Grad: „Da träumt man echt nur noch vom Schwimmbad.“ Und backtechnische Probleme gibt es auch: Der Sauerteig muß zwar sauer werden, aber bei solch subtropischen Temperaturen wird er ganz schnell zu sauer. „Das ist dann bei der Hitze noch eine besondere Anforderung an den Bäcker“, stöhnt Selle, „bei der Hitze hilft eigentlich nur noch, ganz viel Wasser trinken.“

Und Wasser wird in diesem Sommer getrunken wie noch nie. Spreequell produzierte im Juli 170 Prozent mehr Mineralwasser als im Juli des Vorjahres. „Wir haben wirklich Engpässe“, sagt Geschäftsführer Rolf-Stephan Stüsser, „darum wird bis Ende dieser Woche auch nur noch Wasser produziert, damit wir überhaupt hinterherkommen.“ Ein Problem haben die Spreequeller zumindest nicht: „Wir haben hier für uns auf jeden Fall genug zu trinken.“

Weniger unter der Hitze als vielmehr unter fehlender Kundschaft haben die zu leiden, die normalerweise das große Geschäft mit der Hitze machen. Knut Zandler vom Saunacenter Skandinavia: „Eigentlich sollte doch jeder wissen, daß man Hitze am besten mit Hitze bekämpfen kann.“ Aber die Sauna bleibt so gut wie leer. Nur ein paar Stammgäste verirren sich noch auf die dampfenden Bänke. Aber auch wenn die Masse ungelehrig bleibt, Zandler zumindest befolgt seinen Rat: „Wenn ich abgelöst werde, gehe ich erst mal in die Sauna.“

Ein bißchen besser haben es da die Solarienbetreiber, „denn immer mehr Leute flüchten vor Sonnenstrahlen und Ozon und kommen zu uns“, sagt Marina Schleif von Solarent, „man hat hier ja auch alles: man wird braun und die Räume sind vollklimatisiert.“

Aber auch wer nicht ins Sonnenstudio oder in die pralle Sonne zum Schwitzen will, findet noch ein kühles Plätzchen. Im Lesesaal der Staatsbibliothek sind es dank Klimaanlage angenehme 18 bis 20 Grad. Dieter Jancke von der Stabi: „Der Lesesaal ist absolut übervoll. Es sind gut ein Drittel mehr als sonst. Hauptsächlich Studenten, und die arbeiten emsig wie nie.“ Aber der Geheimtip Stabi hat sich bereits rumgesprochen: „Wenn du nicht früh genug da bist, bekommst du keinen Platz mehr.“ Der 24jährige Philipp von der Orten kommt jeden Tag, um für sein Medizinstudium zu lernen, „aber wenn du verschläfst, kannst du gleich zu Hause bleiben und da schwitzen“.

Oder man macht es wie die Tiere im Zoo: viel schwimmen, faul im Schatten liegen und nur ab und zu unter die aufgestellten Wassersprenger hüpfen. „Einen Sonnenstich hatte hier noch niemand, weder die Tiere noch die Pfleger“, sagt Zootierarzt Andreas Ochs, „nur der Schabrackentapir hat in diesem Sommer seinen ersten Sonnenbrand bekommen – hinter den Ohren.“