Durchs Dröhnland
: Das absolut Weltüberflüssigste noch einmal

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

In der Hitze der Nacht hält der Franz-Club weiter eisern an seiner Wer-schon-verschwitzt-ist- dem-macht-es-nichts-mehr-aus- Taktik fest. Auch 20 Brothers House werden das Häuschen in der Schönhauser rocken, daß die Wände wackeln, verschnaufen gilt nicht.

Der Sechserpack aus den Niederlanden nennt die eigene Mischung zwar „The Monk of Fonk“, aber der Funk ist hier wirklich nur eine Klammer, die auseinanderbrechende Einflüsse mehr schlecht als recht und meist gar nicht zusammenhält. Da gibt's Stücke, die einzig auf der hypnotischen Wirkung afrikanischer Trommeln bauen, dann wieder einen – allerdings recht altbackenen – Rap, der über komisch vibrierenden Gitarren ausgelutscht wird, während der Beat, den man dahinter vermuten sollte, wenig knackig dümpelt. Daß sie das aber auch können, beweist dann oft gleich der nächste Song. Nur mit allem auf einmal tun sich die zwanzig Brüder etwas schwer.

Am 5.8. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg.

Für uns relative Jungspunde ist Estland ja erst kürzlich auf der Landkarte eingerückt worden, mithin fehlen Informationen über die Musik, die da so gespielt wird, erst recht. Über das Especially Sad Music Orchestra weiß ich leider nicht mehr, als daß sie eben aus Estland kommen, und natürlich auch nicht, wie repräsentativ sie für die dortigen Klangwelten sind. Ist das nun estnischer Folk oder schlichter Pop oder was? Also eines, nämlich Rock, ist es ganz bestimmt nicht, gewisse volksmusikalische Elemente scheinen mir unüberhörbar, die Sprache sagt mir natürlich gar nix. Die Musik des Orchesters ist meist so traurig, wie es der Name einem ins Auge drückt, die weibliche Stimme lacht eher mal, als daß sie großartig phrasiert. Im großen und ganzen sehr nüchterne Musik, die bestenfalls durch plötzliches Klatschen mal auffällt.

Am 6.8. um 22 Uhr im Schoko- Laden Mitte, Ackerstraße 169/170.

Prisoners, nie gehört? Aber bei irgendeinem der nächsten Namen sollte es klingeln, denn als sich die Prisoners 1986 auflösten, entstanden aus ihren Überresten und mit Hilfe reichlicher Inzucht noch das James Taylor Quartett (überaus orgelschwangerer Acid Jazz), die Prime Movers (fast peinlich retrospektive Sixties), aus Blunt wurden die Charlatans (irgendwie vor allem viel Gitarren), und da war noch mehr. Die Originalbesetzung der Prisoners hat sich für ein paar Auftritte nun wieder gefunden. Alte Fans gehen sowieso, der Rest sollte es sich überlegen, denn dies wird höchstwahrscheinlich eine einmalige Reunion bleiben.

Am 7.8. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg.

Daß ausgerechnet X-Tal die Nicht-Vergessen-Offensive für die San Franciscoer Folk Szene starten, kommt dann doch überraschend, weil im letzten Jahr, als man sich hochoffiziell vom Punk verabschiedete und dafür als eine der wenigen Alternativen in großem Maßstab Folk verkündet wurde, die Aushängeschilder eher Penelope Houston oder die Bedlam Rovers waren. Unser Quartett agierte statt dessen haarscharf an der Grenze zum inzwischen doch recht umstrittenen Alternative Rock. Immerhin hatten sie sich nach zwei ersten Platten, wo ihnen ihre übertriebene politische Korrektness im Wege stand, zu einer relaxten Eleganz durchgerungen, die trotzdem nicht auf Inhalte verzichten muß. Das kommenden September erscheinende Album „Mayday“ flirrt zwar auch wieder auf Folkrockwurzeln, aber atmet noch mehr eine desperate Punkverworrenheit und befindet sich da fast näher an Pavement als an den nordkalifornischen Mitstreitern. Hin und wieder rutscht J. Neo sogar eine richtig bös gesungene Zeile heraus. Aber natürlich gibt es auch hier wieder neben dem allgegenwärtigen Gitarrengeflimmer die allerliebst vorgetragenen Schmachtfetzen. Da sich eine Minimalbesetzung gerade zur ausgiebigen Interview- Tour hier befindet, spielt man halt auch noch drei kleine Akustik- Gigs. Wer brüllt hier „Unplugged“? Welch ein häßliches Wort, wir nennen das reduziert, denn in der Reduktion liegt Größe.

Am 10.8. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln.

Also, wenn ich es nicht besser wüßte, ich würde wetten, daß Armin neuerdings ein Frauenname ist. Armin heißt der Sänger von Gom Jabbar. Wer jetzt aber an böse, den siebziger Jahren geschuldete Verfehlungen wie Eunuchen-Metal denkt, liegt noch falscher. Der Siebener aus Berlin spielt statt dessen den ungezähltesten Funk-Metal-Crossover noch einmal. Das allerdings durchaus salatherbfrisch und sogar mit blechblökenden Bläsern. Daß es weitaus schlimmere Versuche gibt, macht diesen zwar nicht wert- oder sinnvoller, aber immerhin genießbar.

Am 11.8. um 22 Uhr im Franz.

Manchmal gibt es diese Momente, wo einen selbst die ganz alten Tricks wieder überraschen und auf dem falschen Fuß erwischen. Das ist bei der Musik nicht anders als beim Fußball. Hier nun haben wir das so ausgelutschte Laut-und-leise-werden, die Konfrontation von verwirrter Stille mit noch einmal verwirrteren Ausbrüchen an der Schmerzgrenze. Alles tausendmal gehört, und Drive Like Jehu schaffen es zwar auch nicht, der Chose irgend einen neuen Aspekt abzugewinnen, aber es funktioniert tatsächlich ein letztes Mal, bis zum nächsten Mal. Die ruhigen, aber ganz und gar nicht dahinfließenden Teile der Songs sind einfach so gespielt, wie eine Band eben spielt, wenn sie sich vom letzten großen Schlag erholt und sich auf den nächsten vorbereitet. Da ein Tönchen, dort eins, der nächste weiß gar nicht so recht, was spielen. Und dann los, wie von Geisterhand gelenkt, bricht etwas auf, was am besten vielleicht mit dem verzweifelten Gegenanspielen eines Rockers, der weiß, daß er das absolut Weltüberflüssigste noch einmal versucht, beschreiben kann. Rock ist tot, wir treten die Leiche, dann bewegt sie sich immerhin noch einmal. Die alten Tricks eben. Diese Ausbrüche gehen mit einem Schreien einher, das einem auf bösartige Weise an die Glieder geht. So ein Gebrüll dürfte zuletzt in der Stadt beim Auftritt von Barkmarket zu hören gewesen sein. Vielleicht Brüder im Geiste. Die verlorenen Helden dieses Abends aber sind ein Quartett aus San Diego, weit genug weg vom Moloch Los Angeles, um unbeeinflußt von der dortigen Mainstream-Soße zu sein und nah genug, um den nötigen Haß entwickeln zu können. Wem es weiterhilft: Gitarrist John Reis betätigt auch die Saiten bei Rocket From The Crypt.

Am 11.8. um 21 Uhr im Huxley's Junior. Thomas Winkler