Die Hochschulen werden entmachtet

Universitäten sollen 100 Millionen Mark einsparen: Senat will Mehrfachangebote streichen / Abgeordnetenhaus soll eingreifen und gesetzliche Grundlage für Sparkurs schaffen  ■ Von Dirk Wildt

An den Universitäten wird geholzt: Der Senat will nach der Sommerpause das Abgeordnetenhaus beauftragen, die Hochschullandschaft zu durchforsten – so sieht es ein einstimmiger Beschluß zum Doppelhaushalt 1995/96 vor. Schon ab kommendem Jahr sollen die vier Universitäten Humboldt Universität (HU), Freie Universität (FU), Technische Universität (TU) und Hochschule der Künste (HdK) 100 Millionen Mark sparen, indem sie sogenannte Mehrfachangebote streichen – die gleichen Studiengänge soll es nicht länger an mehreren Unis geben. Für das Angebot an den einzelnen Unis sind zwar die jeweiligen Kuratorien zuständig, doch jetzt soll das Parlament Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) die gesetzliche Handhabe verschaffen, auch gegen den Willen der Kuratorien handeln zu können – mit sogenannten Auflagenbeschlüssen. Den Hochschulen, so lautet der Senatsbeschluß weiter, werde eine Stellungnahme bis zu den Haushaltsberatungen ermöglicht, „ohne daß hierfür neue Gremien geschaffen werden“.

An den Hochschulen trifft die angestrebte Entmachtung auf wenig Verständnis. Schließlich haben die Kuratorien gerade einen Kooperationsrat gegründet, der die Unis „vor Beschlüssen von außen bewahren“ sollte, sagte HU-Sprecherin Susann Morgner auf Anfrage. Das Ziel des Rats sei doch gerade, den Senat bei seinem Sparvorhaben zu beraten, bestätigte TU-Sprecherin Kristina Zerges. Das nächste Treffen sei am 2. September. In dem Kooperationsrat sitzen 27 Mitglieder, gestellt von den vier Universitäten, den fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, Arbeitgebern und Gewerkschaften – ihnen „brennt das Thema unter den Nägeln“.

FU-Sprecher Christian Walther meinte, die Geschichte lehre, daß Uni-Institutionen zwar langsam arbeiteten, es aber eine „absolute Ausnahme“ sei, daß Abgeordnete klügere Entscheidungen treffen. Er habe den Eindruck, daß sich die Politik außerdem nicht der Grenze bewußt sei, die die Verfassung setze. Studenten hätten ein Anrecht darauf, einen an einer Uni begonnenen Studiengang auch dort zu Ende zu führen. Aus rein finanziellen Gründen könnten Kapazitäten nicht abgebaut werden. Außerdem, gab der FU-Sprecher zu bedenken, sei es „geradezu unvorstellbar“, größere und anerkannte Studiengänge wie etwa Chemie nur noch an einer einzigen Uni zu lehren. Die Zusammenlegung kleinerer Fächer sei zum Sparen hingegen kaum ergiebig, da beispielsweise Germanistik oder Jura nur wenig technische Ausstattung in Anspruch nähmen.

Monika Grütters, Sprecherin des Wissenschaftssenators, feiert den 100-Millionen-Mark-Beschluß dagegen als Erfolg: Mit 135 Millionen Mark seien die ursprünglich vorgesehenen Einsparungen „viel schlimmer“ gewesen. Erst als Erhardt eine „Giftliste“ mit den Studiengängen zusammengestellt hatte, die abgeschafft worden wären, hätten der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und die Fraktionschefs der Koalition, Klaus Landowsky (CDU) und Ditmar Staffelt (SPD), einer niedrigeren Sparsumme zugestimmt.

Eine Arbeitsgruppe der Verwaltung, in der auch Vertreter der Koalitionsparteien vertreten sind, soll nun Vorschläge erarbeiten. „Wir wollen unbedingt vermeiden, daß das Abgeordnetenhaus durch Auflagenbeschlüsse die Entscheidung fällt“, sagte Grütters. Doch welche Studiengänge wo wegfallen sollen, ist offenbar auch in der Arbeitsgruppe unklar. Vorsichtshalber sind ab sofort auch Haushaltsexperten von CDU und SPD zu den Sitzungen geladen. Von dem Kooperationsrat der vier Universitäten hält Senator Erhardt jedenfalls nichts. Er habe den Vorsitz abgelehnt, weil das Gremium ohnehin aus den Leuten zusammengesetzt sei, die bereits in den Kuratorien vertreten sind, wußte seine Sprecherin: Der Rat sei ein „Kuratorium der Kuratorien“.

Besonders betroffen von dem Doppelhaushalt 1995/96 ist die HU, die neben dem Abbau von Mehrfachangeboten in beiden Jahren je 40 Stellen in der Verwaltung streichen soll. Doch 3.500 Stellen seien in den letzten fünf Jahren bereits abgeschafft worden, sagte Sprecherin Morgner, die Umsetzung der neuen Auflage sei „schier unmöglich“. Der Betrag von insgesamt acht Millionen Mark müßte dann bei den Sachmitteln gespart werden. Die Wissenschaftsverwaltung beruft sich wiederum auf einen Bericht des Rechnungshofs, laut dem in der Verwaltung der HU noch immer 160 Stellen zuviel angesiedelt seien.