„Endgültige Abrechnung mit der Opposition“

■ Die grüne Europa-Parlamentarierin Claudia Roth über den laufenden Kurdenprozeß in der Türkei: „Es muß Sanktionen geben, solange dieser Schauprozeß weitergeht“

Claudia Roth, Europaabgeordnete der Grünen, war als Beobachterin des Europaparlaments bei der Eröffnung des Prozesses in der türkischen Hauptstadt gegen sechs des „Separatismus“ angeklagte kurdische ParlamentarierInnen anwesend. Der Prozeß ging gestern mit der fortdauernden Verlesung der 174seitigen Anklageschrift in seinen zweiten Tag. Die Verteidigung kündigte an, sie werde heute die Freilassung der Angeklagten beantragen.

taz: Wie waren deine Eindrücke bei dem Prozeß?

Roth: Mir gehen laufend Bilder durch den Kopf. Leyla Zana ist eine zierliche, wunderschöne Frau, die ich im Laufe der Jahre immer wieder getroffen habe. Sie saß dort eingekesselt von 28 bewaffneten Gendarmen. Ahmet Türk war sozusagen ein kurdischer Prinz – nun saß er da als Schwerverbrecher. Mahmut Alinak hat mich einst ganz offiziell empfangen – auch er ist heute ein Schwerverbrecher. Auch Hatip Dicle, der mir einst Listen mit deutschen Waffenlieferungen übergeben hat.

Abgeordnete aus Europa und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen hatten ja Schwierigkeiten, überhaupt ins Gerichtsgebäude hineinzukommen.

Wir wurden zwei Stunden von der Polizei festgehalten. Es war eine ganz selektive Zulassung zu diesem angeblich öffentlichen Prozeß. Doch das erstaunt mich nicht. Es bedeutet nichts, wenn das türkische Außenministerium zusagt, daß der Prozeß öffentlich ist und europäische Abgeordnete Zugang haben. Der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes, Nusret Demiral, ist ein Staat im Staate. Der Prozeß ist Symbol für die endgültige Abrechnung mit der kurdischen Opposition.

Die Biographien der Angeklagten werfen ja ein Licht auf die Geschichte des kurdischen Widerstandes in der Türkei.

Ich habe Leyla Zana Ende der achtziger Jahre kennengelernt. Ihr Ehemann Mehdi, einst Oberbürgermeister von Diyarbakir, war zwölf Jahre im Gefängnis. Unter extrem schwierigen Bedingungen zog sie ihre zwei Kinder auf. Ich sah sie dann mit Blutergüssen nach der Beerdigung des kurdischen Politikers Vedat Aydin. Die Polizei hatte in die Menge geschossen und brutal geprügelt. Nur einmal habe ich sie glücklich gesehen: Ihr Ehemann Mehdi wurde aus dem Gefängnis entlassen. Das kurdische Neujahrsfest Newroz durfte gefeiert werden, Mehdi hat auf dem Marktplatz in Diyarbakir getanzt. Nun sind beide hinter Gittern – Leyla, weil sie ihre Meinung als Abgeordnete gesagt hat; Mehdi, weil er eine Rede im europäischen Parlament hielt. Mehdi Zana war vom Unterausschuß für Menschenrechte des Europaparlamentes nach Brüssel eingeladen worden. Seine Rede hat alle tief beeindruckt. Er hat gesagt, daß Gewalt keine Lösung ist. Er hat uns eine friedliche Perspektive aufgezeigt. Nun ist er wegen der Rede zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Mit der Kriminalisierung, mit der Zerstörung dieser Menschen wird der Dialog kaputtgemacht.

Wie läßt sich die Politik Deutschlands und der Europäischen Union gegenüber der Türkei bestimmen?

Innerhalb der EU ist Deutschland federführend. Es ist ein dunkles Kapitel. Zwei Wochen war die Schamfrist des deutschen Außenministers Kinkel – dann gingen die Waffenlieferungen an die Türkei weiter. Die deutsche Politik läßt keinen Zweifel daran, wem sie den Rücken stärken will – nämlich dem türkischen Staat. Jüngst hat Kinkel die Türkei als befreundetes Land bezeichnet. Aber ist es ein Freundschaftsdienst, wenn man deutsche Waffen liefert? Wäre es nicht ein Freundschaftsdienst, Druck auszuüben, damit es endlich zu Frieden in dem Land kommt? Es muß Sanktionen geben, solange dieser Schauprozeß weitergeht, solange Dörfer in Kurdistan verbrannt werden. Mir genügen keine kritischen Resolutionen, die allmonatlich verabschiedet werden und folgenlos bleiben. Ich habe den Antrag gestellt, daß die Arbeit des gemischten parlamentarischen Ausschusses, der paritätisch mit Mitgliedern des türkischen Parlamentes und des Europaparlamentes zusammengesetzt ist, eingefroren wird. Im September wird im Europaparlament über diesen Antrag entschieden. Ich hoffe, daß es eine Mehrheit geben wird. Wie mit Kollegen im türkischen Parlament umgesprungen wird, hat die Abgeordneten in Brüssel schon erregt. Soviel Sensibilität zeigten sie nicht bei abgebrannten Dörfern. Interview: Ömer Erzeren