■ Italiener wickeln kein Geschäft ohne Vermittler ab:
: Vertrauen ist gut – Bruder ist besser

Terracina (taz) – „Sag mal,“ Romolo kommt wieder mal höchst umständlich zur Sache, „da hinten, da hast du doch einen Haufen Dachziegel liegen, alte, ich meine: brauchst du die noch?“ Nein, er kann sie gerne habe. Aber nicht doch: nicht er braucht sie, sondern Gianni. Welcher Gianni? „Na der, der grade weggefahren ist.“

Der war drei Stunden dagewesen, wir hatten über Gott und die Welt, Fußball und Berlusconi geplaudert – aber über die Dachziegel hatte er kein Wort verloren. „Ja, der wußte halt nicht, ob du sie noch brauchst.“ Und warum konnte er mich das nicht selber fragen? „Naja, weißt du“, Romolo versucht geduldig, die elementaren Regel des Miteinanderumgehens zu erklären: „Wenn du sie doch noch gebraucht hättest, wäre es möglich gewesen, daß du dich ärgerst, weil du meinst, daß er sich das doch hätte denken können ...“

Wer länger in Italien lebt, wird immer wieder damit konfrontiert: Kaum eine Aktion wird in einer reinen Zweier-Aktion abgeschlossen, ob es sich um einen Kauf handelt oder um einen Gefallen, ob man mit jemanden zusammentreffen oder jemanden rüffeln will. Selbst bei Geschäften, die unsereinem als fern jeglicher Sentimentalität gelten, wird lieber ein Sondierer eingesetzt. Romolo zum Beispiel, der sich ein neues Auto kaufen wollte, hat zuerst mal seinen Bruder in Latina mobilisiert, damit der bei einem Freund nach dem Kaufpreis fragt. Dann hat er mich gebeten, bei einem Händler, der Kunde meiner Frau ist, Angebote einzuholen, um danach noch einen Arbeitskollegen um Vermittlung zu bitten. Gekauft hat er das Auto schließlich nicht etwa dort, wo es am billigsten war, sondern über seinen Bruder: „Wenn dann was fehlt, weiß ich, an wen ich mich wenden muß.“ Vertrauen ist gut, Bruder ist besser.

Einladungen werden keineswegs auf die direkte Art verabfolgt: Wollt ihr morgen zu uns zum Abendessen kommen? Derlei kommt nur bei engsten Freunden in Betracht. Ansonsten wird sich über deren Vermittlung verständigt: „Denkst du, daß die gerne kommen würden? Frag sie doch mal, dann lad' ich sie ein.“ Die Angst vor einem Korb sitzt tief – wenn Italiener etwas fürchten, ist es ein Gesichtsverlust. Tatsächlich, das zeigen viele Beispiele, kann derlei auch geschäftlich ruinös wirken: Schnell spricht sich herum, wenn einer dem anderen nicht traut – schon ziehen Dritte sich zurück. Ein Mittler kann derlei vermeiden.

Auch Druck und Warnungen werden gerne über Dritte vermittelt, nur in Ausnahmefällen geht man persönlich zu einem Geschäftspartner oder Schuldner und sagt: „Wenn du jetzt nicht gleich bezahlst ...“ Viel besser, man wendet sich an einen gemeinsamen Bekannten: „Weißt du, was mit dem los ist? Der Kerl bezahlt nicht und ich weiß nicht, was ich machen soll ...“ oder: „Hat dich der auch so mies beliefert?“ Hat man den rechten Distributoren zur Hand, kann man sicher sein, daß der nun Druck ausübt. Besonders, wenn der persönlich Grund hat, sich einzuschalten. Etwa, weil er selbst das Geschäft vermittelt oder weil der ein Verwandter von ihm ist.

Eine eigene Kaste hat sich auf diese Weise herausgebildet und scheint unausrottbar geworden: Nicht der Staat garantiert Geschäfte und Absprachen, sondern der Vermittler. Wer einen neuen Lehrling braucht, setzt nicht etwa ein Inserat in die Zeitung – er läßt sich einen empfehlen, und der Empfehlende ist damit gleichzeitig verantwortlich, daß der Junge oder das Mädchen eine gute Wahl ist. In manchen Bereichen ist das System auch tief degeneriert. Mafiosi zum Beispiel sind, nach einer klugen Studie des Soziologen Diego Gambetta nahezu ausschließlich aufgrund ihrer Mittler- und Garantendienste so tief in der Gesellschaft verwurzelt. Geschätzt keineswegs nur bei illegalen Geschäften. Wo Gerichte jahrelang die Entscheidungen hin und her wälzen, gilt der angesehene „Mittler“ als der kürzere und erfolgreichere Weg. Für den Käufer wie auch den Verkäufer. Die „Gebühr“ für derlei Dienste ist ansehnlich – aber in vielen Fällen billiger als jeder Prozeß.

Psychologen haben viele weise Artikel darüber verfaßt, warum die Italiener so gerne Zuflucht zu derlei Instanzen nehmen. Sie lassen sich gar bis ins Altertum zurückverfolgen. Ethnologen vermuten, daß sich das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Großfamilie und zu einer Tribus – aus der sich das erste Rom entwickelt hat – irgendwie bis heute erhält: in Form eines starken Gruppengefühls, das nur mäßige individuelle Ego-Entfaltung zuläßt. Geborgen fühlt sich ein unentwegt in Gruppen eingebundener Mensch nur unter mehreren. Tatsächlich spricht einiges für diese Version: Während Deutschland herzlich über „Männerfreundschaften“ spottet, gilt ein Lied wie „Tre amici al bar“ – über drei Freunde, die jeden Tag gemeinsam ihren Espresso trinken, dann durch irgendwelche Schicksale getrennt werden und sich am Ende wieder zusammenträumen – in Italien als ausgesprochen positiv besetzte reale Moritat. Was immer sich zu mehreren erledigen läßt, wird auch so erledigt: Wer in Italien einmal im Wartezimmer eines Arztes war, weiß ein Lied davon zu singen. Fünzehn, zwanzig Leute füllen den Raum, doch alles geht sehr schnell. Bei jedem Patienten sind zwei oder drei Verwandte oder Freunde mitgekommen. Man weiß, daß der/die andere seelischen Beistand braucht, und rechnet im umgekehrten Fall auf ebensolchen.

Selbst wenn wir Deutschen immer wieder darüber lächeln, ist es eigentlich praktisch: „Was willst du“, belehrt mich Romolo, „es ist doch immer besser, jemanden dabeizuhaben, der auch weiß, wie alles gelaufen ist.“ Recht hat er. Die Sache mit den Dachziegeln ist trotzdem schiefgelaufen: Romolo hat meine Nachfrage, warum Gianni nicht direkt mit mir gesprochen hat, an diesen weitergeben – und jetzt meint der, ich sei darob beleidigt. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis ich ihn wieder mal zu einem Espresso an die Bartheke bekomme. Werner Raith