Der letzte Eselsschrei

Der Berliner Metropolensender IA oder: Eine Posse aus der Fernsehprovinz  ■ Von Martin Muser

Es hätte alles so schön werden können. Ein paar clevere Medienmacher wären als Pioniere in die Fernsehgeschichte eingegangen. Getragen von einer kühnen Idee, nämlich der, daß die Zukunft des TV nicht in den großen überregionalen Sendern liegt, sondern in den kleinen lokalen Stationen. Heimatfernsehen, Metropolen-TV oder Ballungsraumfernsehen – wohlklingende Namen für einen televisionären Markt der Zukunft.

Doch es kam anders. Als Deutschlands erstes Regional-TV mit Vollprogramm Ende 1993 auf Sendung ging, sangen die Fischerchöre auf dem Alexanderplatz. Mit dem fröhlichen Adventskonzert präsentierte sich der Berlin- Brandenburgische Regionalsender IA hoffnungsfroh seinem Publikum. Angetreten war man mit einer gehörigen Portion Lokalchauvinismus (so benannte man sich nach dem alten Autokennzeichen der Reichshauptstadt: römisch eins A) und amerikanischem Geld: IA-Hauptgesellschafter sind die kanadisch-amerikanische Investorengruppe CEDC (40 Prozent), der US-Medienmulti Time-Warner (21 Prozent) und der Devisenspekulant George Soros (21 Prozent). Einen kleineren Anstandsanteil (10 Prozent) hält IA-Gründer Ulrich Schamoni.

Doch statt eines erfolgreichen Startes legte der Eselsender eine nicht enden wollende Pannenstrecke hin. Der bislang letzte Streich: im Juli löste die Geschäftsführung die Nachrichtenredaktion auf. Die dort beschäftigten freien MitarbeiterInnen, denen zum Teil seit langem feste Verträge versprochen worden waren, wurden kurzerhand auf die Straße gesetzt. Ihre Aufgaben übernahmen eilig herbeizitierte Festangestellte, die zuvor alles andere gemacht hatten, nur keine Nachrichten.

Angefangen hatte das personelle Stühlerücken Ende April mit einer Palastrevolte gegen IA- Gründer und -Gesellschafter Schamoni. Handstreichartig war der Ex-Jungfilmer und Radiomacher vom Geschäftsführer-Thron gestürzt worden. Es habe ihn „eiskalt erwischt“, beteuerte das dicke Medienoriginal konsterniert, nachdem ihn die übrigen Gesellschafter kaltgestellt hatten. Den amerikanischen Geldgebern waren Schamonis Ideen eines vorwiegend aus Eigenproduktionen bestehenden „Heimatfernsehens“ offensichtlich zu teuer geworden.

Schamonis Amt übernahm der IA-Marketingchef Thomas Thimme, der seitdem eilfertigst versucht, es den Amerikanern recht zu machen. Thimme, das ist der fleischgewordene Opportunist auf dem Weg nach oben. Der einstige Medienreferent der Grünen in Bonn hatte Ende der 80er Jahre den Berliner Alternativsender „Radio 100“ kaltschnäuzig in die Abwicklung getrieben, um daraufhin beim Frequenzerben „Radio Energy“ als Geschäftsführer weiterzumachen. Daß er jetzt seinen gestürzten Kollegen Schamoni beerbte, erhebt ihn endgültig in den Rang des Brutus der Berliner Medienszene.

Doch der Königsmord war nur der Anfang. Kurz darauf wurde auch der von Schamoni installierte Chefredakteur Werner Brüssau geschaßt. Bereits im März war der einstige ZDF-Korrespondent de facto aus dem Amt gehoben worden. Abgeschoben in ein Kabuff am Ende des Ganges, wußte der als Weichei verschrieene Brüssau nicht mehr, was um ihn vorging. Auf Weisung von oben sollte er sich fortan nur noch um die Mittwochs-Talkshow kümmern. Daraufhin zog Brüssau erst mal vors Arbeitsgericht. Nach einer außergerichtlichen Einigung dürfte er jetzt einer schönen Abfindung entgegensehen.

Natürlich blieb Brüssaus Stuhl in der repräsentativen Chefredaktionskabine nicht kalt. Seit März wärmt ihn der Hintern von Michael Stellmacher. Offiziell bekleidet der ehemalige Bild-Lokalchef das Amt eines „Koordinators“. Stellmacher (Scharpingbart, Wampe und immer eine Zigarette in der Hand) mühte sich redlich, das desolate Programm (damalige Einschaltquote: etwa 1,5 Prozent) auf Vordermann zu bringen. Laut Ohrenzeugen nach dem Schema: „Wer nicht pariert, fliegt raus“.

Im Rahmen einer großen Reform wurde der Sendeablauf gestrafft. Statt der von Schamoni gewünschten „Schwarzweiß-Klassiker“, gab es US-Film- und Serienware. Die Konzepte für eigenproduzierte Shows und Magazine wurden auf Eis gelegt. Auch das Sendemaskottchen – ein unaufhörlich durchs Programm pfeifender Hase – verschwand. Stattdessen kamen noch mehr dümmliche Gewinnspiele sowie Stolpe und Diepgen, die sich im IA-Studio bereitwillig den Zuschauerfragen stellten.

Senderintern ist man sich weitgehend darüber einig, daß es Schamoni und Brüssau waren, die IA mit ihrem Fehlstart in den Sand setzten. Im ersten Quartal sollen die beiden gut die Hälfte des Jahresbudgets verpulvert haben. Auch der größte Flop, die schmierige Nachbarschaftsshow „Alles dran nebenan“, geht auf ihr Konto. Hergestellt wurde das Schmuddelwerk von Ulrich Meyers Produktionsfirma Meta (ewige Schande sei dem „Einspruch“-Moderator dafür zuteil!): Die zotigen Sprüche und Partyspielchen im Swimming- pool erschienen selbst Schamoni derart frivol, daß er in einer Ansprache bei den älteren Zuschauern um Verständnis warb.

Gleichfalls auf der Verschwenderlinie soll auch der Programmdirektor Hans Dieter Zoller gelegen haben, der im Juni seinen Abgang machte. Offiziell wurde der Rausschmiß mit Differenzen über „Fragen der Personalführung“ begründet. Man munkelt jedoch, daß Zoller mit der Münchner Produktionsfirma „Tout-va-bien“, schmeichelhaft gesagt, ungünstige Verträge abgeschlossen habe.

Dem Sender fehlt es hinten und vorne an Geld – wo auch immer es geblieben sein mag. Das Geschäftsjahr 1994 wird IA nach Angaben Thimmes mit einem Verlust von 20 bis 30 Millionen Mark abschließen. Die Werbegelder fließen nach wie vor eher schleppend. Mit piefigen Infomercials für Autohäuser und Spots für Partylines ist wohl nicht das große Geld zu machen.

Konsequenz ist ein eiserner Sparkurs. Mit einer Rumpfmannschaft versucht der Sender derzeit, sich kostengünstig durchs Sommerloch zu manövrieren. Wiederholungen, belanglose Studiotalks und dürftige Regionalnachrichten füllen ein billig zusammengestricktes Notprogramm. Doch ab Ende August soll wieder einmal alles besser werden. Abermals hat IA eine Strukturreform angekündigt. Mit „optimierten Infosendungen“ und neuen Unterhaltungsangeboten wie der volksnahen „Beppo- Show“ oder einem Promi-Spezial mit Wolfgang Lippert will Thimmes Truppe IA endlich auf Erfolgskurs bringen.

Thimme jedoch lächelt nach wie vor ungebrochen optimistisch aus seinem schwarzen Totengräberanzug. Glaubt man seiner Medienmacherprosa, dann reichen die 100 Millionen, die die Gesellschafter insgesamt für das Projekt IA zur Verfügung gestellt haben, für 3 Jahre. Die derzeit bei 2 Prozent liegenden Einschaltquoten will er schon bis zum Jahresende verdopelt haben. Den legendären Break-even-point strebt er dann für Ende '96 an.

Ende dieses Monats wird die nächste IA-Gesellschafterversammlung stattfinden. Diesmal in New York. Böse Zungen behaupten, daß die Reise für Thimme zu einem One-way-trip werden könnte. Denn möglicherweise möchten die Amis IA mutwillig in den Konkurs fahren, in der Hoffnung, daß ihnen die Sendelizenz erhalten bleibt und sie mit anderem Konzept einen Neustart vornehmen können. Bertelsmann und Vox lassen grüßen.