Auf dem Weg nach Großserbien

Die Entscheidung des serbischen Präsidenten, die Verbindungen mit der bosnisch-serbischen „Republik“ zu kappen, ist mehr als nur ein Trick / Milošević will Serbenführer Karadžić stürzen  ■ Von Sabine Herre

Berlin (taz) – Wir haben es schon einmal erlebt: Serbiens Präsident Slobodan Milošević droht dem bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić, Belgrad schließt die Grenzen zur serbisch-bosnischen Republik. Das war im Mai des vergangenen Jahres, und Milošević wollte die bosnischen Serben damals zur Annahme des Vance- Owen-Friedensplans bewegen. Doch der Plan wurde abgelehnt, und die Grenze blieb ganze fünf Tage geschlossen. Milošević präsentierte sich als Friedensengel, zu einem tatsächlichen Bruch mit den bosnischen Serben war er aber nicht bereit. Warum also sollte dies ein Jahr später anders sein?

Wenige Wochen nach dem endgültigen Scheitern des Vance- Owen-Friedensplans kamen in Genf Slobodan Milošević und sein kroatischer Amtskollege Franjo Tudjman zusammen. Thema ihres Gesprächs war der Entwurf eines neuen Teilungsplans für Bosnien. Zwischen den beiden Präsidenten herrschte Einigkeit darüber, daß Bosnien-Herzegowina nicht – wie von Vance und Owen vorgesehen – in zehn Provinzen, sondern in drei ethnische Separatstaaten geteilt werden sollte. Diese Staaten könnten miteinander in einer Föderation oder Konföderation verbunden werden. Für die Serben hatte dieser Plan einen unübersehbaren Vorteil: Sie sollten nicht wie bis dahin vorgesehen dreißig, sondern fünfzig Prozent des bosnischen Territoriums erhalten.

Ein Jahr später sind die serbisch-kroatischen Vorstellungen zum Plan der internationalen Kontaktgruppe geworden. Eine Abänderung ergab sich lediglich durch die überraschende Verständigung zwischen Muslimen und Kroaten, danach soll es in Bosnien nicht wie ursprünglich angenommen drei, sondern nur zwei ethnische Verwaltungseinheiten geben. Da die Einigung zwischen Sarajevo und Zagreb eine Konföderation zwischen der muslimisch-kroatischen Föderation in Bosnien mit Kroatien in den Bereich des Möglichen rückte, schien auch eine Verbindung der bosnisch-serbischen Gebiete mit Serbien nicht mehr ausgeschlossen. Großserbien, von Anfang an Ziel Miloševićs, war in greifbare Nähe gerückt.

Und so machte sich der Präsident daran, die „Wende“ gegenüber den bosnischen Serben vorzubereiten. Seit seiner Neujahrsansprache ließ er keine Gelegenheit aus, um sich als Anwalt für den Frieden in Bosnien zu präsentieren. Seine sozialistische Partei versuchte in den bosnisch-serbischen Städten Fuß zu fassen und den Einfluß der Partei Karadžićs zurückzudrängen. Auch in Serbien selbst hat Milošević den Nationalisten um Freischärlerführer Šešelj den Kampf angesagt. Im Unterschied zu 1993 weiß er inzwischen das Militärische Oberkommando in Belgrad auf seiner Seite. Unterstützung erfährt er von der Bevölkerung Restjugoslawiens. Sie war schon vor einem Jahr mehr an der Aufhebung der Sanktionen als an der Fortsetzung des Krieges interessiert. Bei seinem Vorgehen konzentriert sich Milošević auf die Führungselite der bosnisch-serbischen „Republik“. Ihr wird vorgeworfen, nicht nur die „Völker Jugoslawiens“, sondern auch die bosnischen Serben selbst verraten zu haben. Die Botschaft ist klar: Die unschuldige serbische Bevölkerung Bosniens soll Karadžić davonjagen und statt dessen Milošević auf den Thron setzen.

Bei der Umsetzung seines Plans dürfte Milošević vor allem die orthodoxe Kirche Schwierigkeiten machen. Der Belgrader Patriarch Pavle hat den Genfer Plan mit scharfen Worten abgelehnt. Ebenso wie Kriegsherr Šešelj weigert er sich, mit „serbischem Blut erkämpftes“ bosnisches Territorium aufzugeben. Zu der Wende Miloševićs hat Pavle sich bisher aber nicht geäußert, im Unterschied zu dem Freischärlerführer. Der kündigte kurz nach der Entscheidung, die Grenzen zu schließen, Unruhen in Serbien an. Ob diese jedoch stark genug sein werden, um – wie von Šešelj angekündigt – Milošević zu entmachten, muß nach der Entwicklung des letzten Jahres bezweifelt werden.