Mein Portemonnaie sagt „Ja“

■ Auf die Plätze (3)/ Wo die Eisdiele zum Dorfplatz wird: Plaudereien rings um eine wilde Straßenecke in Walle

Jeden Tag macht sich die zarte, alte Frau aus Walle mit ihrem Gehstock auf den Weg zum Platz vor der Eisdiele „Dolomiti“. Dort, wo die Vegesacker Straße einen verkehrsberuhigenden Bogen macht, stehen zwei Linden mit zwei Bankgruppen, dort treffen sich die Waller zum Eisvergnügen und zu kleinen Plaudereien. Der Platz hat keinen Namen. Den braucht er auch nicht, weil er die Funktion eines traditionellen Dorfplatzes erfüllt: Bewohnt vom Geist des Klatsches und Tratsches und er nachbarschaftlichen Freundlichkeit.

Auch die alte Frau will unter Menschen sein, aber sie setzt sich nie unter einen der blauen Sonnenschirme, die zu den fünf vollbesetzten Tischen des „Dolomiti“ gehören. „Doch, doch“, sagt sie liebenswürdig lächelnd und mit der unsicher lauten Stimme der Schwerhörigen, „manchmal sagt mein Portemonnaie JA, wenn ich es frage, und dann kaufe ich mir ein Eis.“

Das trägt sie vorsichtig nicht zur ersten eisdielennahen Bankgruppe, wo das Leben tobt, wo Väter, Mütter, Kinder und Hunde sich drängeln, sondern zur etwas abgelegeneren Bank Nummer Zwei, zu den stillen Außenseitern, die sich meist schweigend den Rücken zukehren und immer etwas erschrocken zusammenzucken, wenn sie wider Erwarten mal angesprochen werden.Bierflaschenscherben liegen da schon mal rum, und freche Wespen nerven. Sie fliegen vom Verkaufsstand des gerade im Umbau befindlichen Bäckerladens herüber.

An der ersten Bank dagegen strecken Säuglinge verzückt dem Eis die Händchen entgegen, nagen Einjährige an einer Waffel zu 10 Pfennig und dürfen sich die Zweijährigen von oben bis unten bekleckern. Die drei alten Weiber aus dem nahen Pflegeheim kichern, lästern und geben laut ihre Urteile über Kind und Kegel zum besten.

Jeden Tag neu überlegen die Erwachsenen, ob sie für einen erhöhten Verzehrpreis mal zur Klasse der noblen Tischsitzer gehören wollen, aber der Einkauf muß ja gleich noch erledigt werden, die Kinder haben schon einen Sonnenstich, man will ja nur mal schnell eine Pause machen, und dann wird es wieder die baumschattige Bank, wo eh schon der Nachbar sitzt. Nur die hutzelige Blaumeierfrau läßt sich immer ihre Eisportion mit Sahne an den Tisch bringen und löffelt sie genauso bis zum letzten Tropfen aus, wie sie ihre vielen Zigaretten bis zur bitteren Neige herunterraucht.

Die Eisdiele steht hat hier seit vierzig Jahren ihren Platz, seit 25 Jahren ist sie fest in den Händen der Familie des Luca, deren junger Sohn jetzt den Laden übernommen. Ohne das „Dolomiti“ - die „beste Eisdiele Bremens“, wie die Waller stolz behaupten - wäre aus der vom Waller Beirat initiierten Straßenumführung kein Platz geworden. Wenn im Herbst die Eisdiele in den Winterurlaub geht, dann ist es schlagartig vorbei mit dem fröhlichen Treiben.

Mögen die beiden Linden weiterhin wachsen und blühen, der Holzwurm die Bänke verschonen, und die de Lucas niemals Gründe haben, etwa nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, wenn das nächste Frühjahr naht. Cornelia Kurth