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„Chaostage“: 600 PunkerInnen festgenommen

■ Polizeistrategie in Hannover schwankte zwischen Repression und Deeskalation

In der Nacht zum Samstag kam es in Hannovers Nordstadt zu den schwersten Krawallen seit Jahren. Bei Straßenschlachten zwischen meist jugendlichen PunkerInnen und der Polizei wurden 310 Personen festgenommen. Insgesamt sind an diesem Wochenende 600 TeilnehmerInnen der sogenannten „Chaostage“ in Polizeigewahrsam genommen worden.

Zu einem geplanten Konzert hatten sich einige hundert PunkerInnen und hannoversche Jugendliche auf dem Gelände der ehemals besetzten Kofferfabrik Sprengel gegen den Widerstand der dortigen BewohnerInnen versammelt. Die Jugendlichen warfen alsbald mit Steinen und Flaschen, setzten auf der Straße alte Möbel in Brand, beschädigten zahlreiche Autos und zerschlugen Fenster und Türen. Gegen Mitternacht räumte die Polizei eine Barrikade und stürmte die als Konzertraum genutzte Kesselhalle. Dabei wurden acht Beamte verletzt. Über die genaue Anzahl der verletzten Punks und PassantInnen gibt es keine genauen Angaben. AugenzeugInnen sprechen aber von mindestens zwölf.

Eigentlich hatten sich auch viele der zum Beispiel aus Laboe, Würzburg, Dordrecht und sogar aus Italien angereisten PunkerInnen die „Chaostage“ anders vorgestellt. Zum ersten Mal seit zehn Jahren sollte an der Leine wieder ein „sonniges, lockeres und unblutiges“ Punkertreffen stattfinden, so die Ankündigung. Doch schon am Bahnhof machte Hannovers Polizei klar, daß die Stadt das selbsterklärte Volksfest in der Innenstadt nicht dulden würde. Den Zugreisenden wurden nach optischen Eindruck Stadtverweise erteilt, Bahnhof und Bahnhofsvorplatz wurden weiträumig abgesperrt, ein Versammlungsverbot ausgesprochen. Hunderte von PunkerInnen wurden rund um das Ernst-August-Denkmal eingekesselt, 175 von ihnen festgenommen. Dieses Vorgehen war amtsrichterlich abgesegnet, Sicherheitsgewahrsam für PunkerInnen bis Montag, 6 Uhr, angeordnet worden. Die Festgenommenen wurden in Turnhallen der Bereitschaftspolizei untergebracht.

Am Samstag nachmittag kam es dann nach Augenzeugenberichten in der Innenstadt zu regelrechten „Menschenjagden“, als Greiftrupps des Bundesgrenzschutzes die Innenstadt nach Kleingruppen von optisch Auffälligen durchkämmte. Das Resultat: weitere 140 Festgenommene. Gegenüber dieser Repressionstaktik tagsüber ließ sich die Polizei an den Abenden meist auf keinerlei Provokationen ein, um Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Am Sonntag morgen dann versuchten nach Polizeiangaben etwa 60 Punks, einen Gottesdienst in der Lutherkirche in der Nordstadt Hannovers zu stören. Die Polizei konnte die jungen Leute noch rechtzeitig abdrängen. Den PunkerInnen wurden Steine abgenommen.

Die meisten der 600 Festgenommenen wurden am Sonntag mit der Eisenbahn unter Aufsicht der Bahnpolizei in ihre Heimatorte geschickt. L.R./dpa

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