: Film-Maniac auf Lebenszeit
Gesichter der Großstadt: Bruno Dunst, 75jähriger Betreiber des Schlüter-Kinos und begehrter Leinwandheld, kann die Finger vom Film nicht lassen ■ Von Frank Kempe
Die „Heimat“ von Bruno Dunst mißt gerade einmal zwanzig Quadratmeter: Schreibtisch und Schränke in dem Souterrainzimmer sind mit Stapeln von Filmprogrammen, Postkarten, Filmspulen und mit Andenken beladen. An der Wand, die direkt an den Kinosaal grenzt, steht ein von Plüschtieren belagertes Sofa. Darüber hat der 75jährige, den alle nur „Onkel Bruno“ nennen, plakatgroße Fotos von seinen vielen Ausflügen in die Film- und Fernsehlandschaft aufgehängt – das vollgestopfte Hinterstübchen, das an einen Trödelladen erinnert, ist der Mikrokosmos eines Film-Maniacs auf Lebenszeit.
Der etwas untersetzte Mittsiebziger mit dem schlohweißen Rauschebart und dem Zopf im Nacken regiert mit seiner Frau „Irmchen“ von hier aus seit 32 Jahren das Charlottenburger Schlüter-Kino, eines der ersten deutschen Programmkinos und zugleich eines der ältesten Berliner Lichtspielhäuser. Der Filmliebhaber, von Kopf bis Fuß ganz auf Zelluloid eingestellt, ist dabei nicht nur in seinem Kino präsent, sondern häufig auch vor der Kamera. An den Drehorten hat er so ziemlich alles kennengelernt, was in der Branche Rang und Namen hat: beispielsweise Claude Chabrol, Danny Houston oder Peter van Eyck.
In über 75 Streifen spielte er selbst mit – vom Weihnachtsmann über den Landstreicher bis hin zum ewig zerstreuten Professor. Und eben auch die Rolle, die ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben ist: Karl Marx. In einem sektenverachtenden Musikvideo zum Lindenberg-Song „Hey Guru“ posierte er als raffgieriger Heilsbringer, Otto Waalkes diente er sogar als Blödelpartner.
Die Liebe zum Film begann für Dunst als Fünfjähriger mit dem Leinwand-Klassiker „Die kleinen Strolche“, den sein Onkel, Besitzer des „Palasttheaters“ in Steglitz, damals als Dauerrenner in seinem Programm zeigte. „Da hat es mich gepackt“, erinnert sich Dunst. Fortan wollte er Kinochef werden, zugleich aber auch selbst über die Leinwand flimmern. Kurz nachdem die Bilder laufen gelernt hatten, schnupperte er bereits als Komparse in einem Gangster-Streifen Filmluft. 1931 spielte er dann in der Verfilmung des Kästner-Romans „Emil und die Detektive“ mit.
Während seine Altersgenossen noch große Eisenbahnerpläne schmiedeten, sauste Bruno schon früh mit der Kamera durch Berlin und legte eifrig Spulen in seinen klapprigen Projektor ein. Immer dann, wenn die elterliche Wohnung in Schöneberg sturmfrei war, warb er im Hausflur auf selbstgemalten Plakaten für sein „Küchenkino“. Zutritt bekam, wer zehn Streichhölzer lockermachte. Nach einem Intermezzo an der Schauspielschule erlernte Dunst den Beruf des Kinomechanikers. Doch in den Werkstätten hielt er es nicht allzu lange aus. Kaum war der Zweite Weltkrieg vorüber, tingelte er mit seinen „Du-Ton-Wanderlichtspielen“, einem mobilen Kino sozusagen, durch Schulen, Kliniken und Jugendheime.
Bis er davon die Nase gestrichen voll hatte und 1962 sofort zugriff, als das „Schlüter“ angepriesen wurde. Seither ackert er unermüdlich für sein Filmkunststudio mit täglich drei Vorstellungen. Urlaub oder Freizeit kennt er nicht („Wir schließen nur Heiligabend und Silvester“). „Die Uhr ist nicht mein Herr, aber die Zeit läuft mir davon“, pflegt Dunst oft zu sagen. Schlaf gönnt er sich nur so viel, wie es eben sein muß. „Ich habe soviel im Kopf.“ Da die Zusammenstellung des nächsten Filmprogramms, dort das Casting für eine Fernsehkomödie, und dann will er ja auch noch sein jahrzehntealtes Projekt verwirklichen: verstaubte Krimi- Klassiker fürs Fernsehen auf Zelluloid zu bannen.
Vorrang hat für den Filmkauz aber wohl jetzt erst einmal die Rettung seines Kinos, seitdem die Zuschauerzahlen mehr und mehr zurückgehen und zu allem Übel der neue Besitzer des Hauses mehr Miete kassieren möchte. Vergeblich riet er Dunst, sein Programm stärker am Mainstream-Geschmack auszurichten. Der 75jährige will keinen Einheitsbrei auf seine Leinwand projizieren – nichts für Robocop-Fans. Unverdrossen spielt er weiter Filme wie „Der Tod in Venedig“ oder „Ein Fisch namens Wanda“, auch die Streifen über die legendären Gebrüder Blues und Marx sind bei „Onkel Bruno“ Evergreens. „Ich hoffe, wir kommen weiter über die Runden“, meint er vielsagend. Für „Irmchen“ und „Onkel Bruno“ wäre ein Auszug aus „ihrem“ Schlüter fast so etwas wie die Vertreibung aus dem Paradies.
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