Über die Schultern geblickt

■ Betr.: „Gefühle wie durch einen Schlauch“, taz vom 1.8.94

[...] Gab es tatsächlich, außer der wohl zu recht kritisierten Eitelkeit der „Altstars der Szene“, nichts Bedeutsames, das einer Erwähnung wert gewesen wäre? Aber dafür müßte mensch sich wohl tiefer in das Thema einlassen – eine Haltung, die der Autorin nicht zu eigen zu sein scheint (wie in besonders plumper Weise das Interview auf der Seite der „Wahrheit“ zeigt).

Zu dieser Oberflächlichkeit paßt es, daß die Autorin dem „wissenschaftlichen“ Irrglauben auf den Leim geht, der eine „schulübergreifende Psychotherapie“ für erstrebenswert hält. TherapeutInnen haben jedoch, wie andere Menschen auch, Stärken und Fähigkeiten auf bestimmten eigenen Gebieten, die sich nicht zu einer einheitlichen „Supertherapie“ verbinden lassen. Ähnlich naturwissenschaftlicher Allmachtswahn ist es, „von außen“ die Effektivität von Psychotherapien bestimmen zu wollen. So leicht ist das eben nicht. Kerstin Leue, Hamburg

[...] Nein, dieses war kein Kongreß der kritischen Debatte oder der Präsentation und Analyse von Ergebnissen der Psychotherapieforschung. Dieses Mißverständnis konnte eigentlich auch keiner haben, der Referentenliste und Programmheft kannte.

Er war aber auch nicht der Jahrmarkt der Eitelkeiten, den Mika dort entdeckt zu haben glaubt. Den findet man leider viel häufiger bei den scheinbar sachlichen Diskussionen auf klassischen Wissenschaftler-Kongressen. Der Kongreß war im wesentlichen eine Begegnung psychotherapeutischer PraktikerInnen mit den ältesten „MeisterInnen“ ihres Fachs. Seine Faszination und Bedeutung gewann diese Veranstaltung insbesondere daraus, daß die große Mehrzahl der ReferentInnen bereit war, wesentliche Elemente ihrer Arbeit detailliert darzulegen und vor allem, sich dabei anhand von Live-Demonstrationen oder Videobändern über die Schulter schauen zu lassen.

Bei den TeilnehmerInnen gab es nach meiner Erfahrung eine große Bereitschaft, diese reichhaltigen Eindrücke ohne Scheuklappen und unter Überwindung starrer Schulmeinungen aufzunehmen. Das ist gegenüber vielen vereinfachenden Diskussionen früherer Jahre (à la „Ist Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie effektiver?“) eine erfreuliche Entwicklung. Eine kritische Auswertung und persönliche Stellungnahme geschieht doch parallel und später in Diskussionen mit KollegInnen oder in der persönlichen Rückschau sowie hoffentlich auf Kongressen mit ebendieser Themenstellung.

Die im Artikel zitierten kritischen Anmerkungen von Grawe lassen außer acht, daß es gerade das Versagen der akademischen Psychologie ist, in ihrer Forschungstätigkeit der Komplexität menschlicher Beziehungen gerecht zu werden, die Psychotherapeuten dazu bringt, auch auf teilweise empirisch unzureichend gesicherte Methoden zurückzugreifen.

Ärgerlich an der Berichterstattung ist, daß Mika sich in durchaus voyeuristischer Manier daran macht, die wohl umstrittensten und in Teilen ethisch nicht akzeptablen Workshops von Alexander Lowen als reißerischen Aufmacher (halbnackten Mann inklusive) zu gebrauchen. Hervorragende Workshops wie die von Cloé Madanes über ihre sensible und mutige Arbeit mit Opfern und Tätern sexuellen Mißbrauchs bleiben demgegenüber unerwähnt. Fritz Gerbrand,

Diplom-Psychologe, Berlin

Lieblingsbeschäftigung der Linksintellektuellen: die Schuld an den Verhältnissen grundsätzlich auf andere Leute schieben.

Lieblingsbeschäftigung therapiesüchtiger Neurotiker: die Verantwortung für das eigene Versagen immer dem wirkungslosen Therapiekonzept und dem unfähigen Therapeuten anlasten.

Lieblingsbeschäftigung neurotischer Therapeuten: ihre neurotischen Patienten permanent von der Erkenntnis und Empfindung ihrer eigenen Wahrheit und Wirklichkeit abhalten.

Lösung: Wer traut sich, sie zu finden? Gewinn: eine Brille ohne Gläser! Michael Dettlaff, Düsseldorf